JULIA EXTRA Band 0281
zu werden, waren so gering, dass Tamsin sich damit gar nicht erst belasten wollte.
Wichtiger war es, den Paparazzi die große Liebe vorzuspielen, damit der Sorgerechtsprozess so schnell wie möglich über die Bühne ging und sie sich gleich danach wieder von Marcos scheiden lassen konnte.
Und dann würde sie endlich das freie Leben führen, von dem sie immer geträumt hatte … wenn es dafür nicht längst zu spät war.
6. KAPITEL
Mit Tamsin zusammen lernte Marcos Madrid von einer ganz anderen Seite kennen. Die fünf Tage mit ihr waren lebendiger und aufregender als die fünf Jahre, die er allein in dieser Stadt gelebt hatte.
Damals arbeitete er von morgens bis abends, hielt sich in örtlichen Kampfsportvereinen fit, war ab und zu mit Freunden ausgegangen oder lernte in noblen Bars Frauen kennen, die er manchmal auch mit zu sich nach Hause nahm. Ein übersichtliches, kontrolliertes Leben, in dem Marcos seine gesamte Energie darauf lenkte, sein Vermögen zu vermehren und seinen Racheplan zu schmieden.
So hatte es ihm gefallen.
Mit Tamsin war alles anders. Da fühlte er sich wie der wilde, ungestüme Junge, der er einst gewesen war. Der seinen Vergnügungen folgte, ohne an die Kosten zu denken.
Einerseits gefiel es ihm nicht, andererseits aber konnte er nicht widerstehen.
Schlimm genug, dass sie ihn dazu gebracht hatte, ihr zu trauen. Und mit ihr zu schlafen, ließ ihn von Dingen träumen, die bisher für ihn ins Reich der Fantasie gehört hatten.
Und wenn sie tatsächlich schwanger sein sollte …
Aber das durfte nicht sein! Jedes Leben, das mit seinem in Berührung gekommen war, hatte er ruiniert. Jeder, den er jemals geliebt hatte, war tot. Es gab keine neue Familie für ihn. Er durfte es nicht riskieren, eine Frau zu lieben, und noch weniger durfte er ein Kind in die Welt setzen.
In den letzten fünf Tagen hatten sie den Paparazzi das ganze Programm einer frisch erblühten, romantischen und leidenschaftlichen Liebe vorgespielt. Sie ließen sich beim Motorradrennen an der Gran Via fotografieren, anlässlich einer Aufführung im klassischen spanischen Theater, beim Tanzen in einem Klub auf der Calle Orense, wo sie Mojitos tranken und wild miteinander flirteten. Tatsächlich entwickelten sie mit der Zeit ein so ausgeprägtes schauspielerisches Talent, dass sie nicht nur die Presse überzeugten, sondern auch Marcos selbst nahe daran war, an ihre Lovestory zu glauben.
Bisher hatte Marcos weder mit Aziz noch mit Sheldon telefoniert. Es war nicht nötig gewesen, weil jedes der geschossenen Fotos keine zwölf Stunden später in nahezu jeder Gazette auf der ganzen Welt abgedruckt sein würde oder via Satellit über jeden Bildschirm flimmerte.
Doch an seinem Plan hatte sich nichts geändert. Bis Tamsin das Sorgerecht für ihre Schwester erlangte, würde er ihren Körper und alle anderen Annehmlichkeiten genießen, dann schickte er sie wieder ihrer Wege.
Obwohl … in den letzten Tagen gab es Momente, in denen er seinen Racheplan fast vergessen hätte. Und gestern Morgen im Bad hatte sich Marcos sogar beim Summen ertappt. Heute hatte er wenigstens einen halben Tag in seinem Büro verbringen wollen, doch schon nach zehn Minuten tauchte Tamsins lächelndes Gesicht vor seinem inneren Auge auf und ließ sich nicht verdrängen, sodass Marcos eine Stunde später jeden Versuch, ernsthaft zu arbeiten, aufgab.
Als er sich dann auch noch für den Rest des Tages und die folgende Woche bei seiner Sekretärin abmeldete, verstand sie die die Welt nicht mehr.
„Aber, Señor!“, rief sie entgeistert aus. „Was ist mit der geplanten Fusion? Und mit dem New Yorker Büro?“
„Darum kümmere ich mich, wenn es so weit ist“, versicherte er ihr. „Aber erst einmal fahre ich nach Jávia.“
Drei ganze Tage mit Tamsin an der Costa Blanca! Er konnte es kaum noch erwarten und fragte sich, ob sie ihre gemietete Strandvilla überhaupt jemals verlassen würden, wenn sie erst …
Die ersten Takte von Canción de flamenco pfeifend, schlenderte Marcos auf den Fahrstuhl zu, drückte auf den Knopf, und als die Türen lautlos auseinanderglitten, sah er sich vier massigen Männern gegenüber. Sie trugen Turbane und knöchellange jellabas. In ihrer Mitte ein älterer Mann mit dunkler, sonnengegerbter Haut und wachen Augen – Scheich Mohamed ibn Battuta al-Maghrib.
Aziz’ Onkel war ein hoch angesehener, mächtiger und einflussreicher Mann und unvorstellbar reich. Außerdem verfügte er über das Talent, Menschen derart
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