Julia Extra Band 0292
Lust hatte.
Da sie es hören würde, wenn das Essen gebracht wurde, blieb Carissa auf der Terrasse. Während langsam die Dunkelheit hereinbrach, versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Eduards letzte Bemerkung hatte seinem Heiratsantrag den Stachel genommen, obwohl „gut miteinander auskommen“ kaum mit der Leidenschaft ihrer Träume in Einklang zu bringen war.
Sein Heiratsantrag würde nicht so wehtun, wenn sie nichts für Eduard empfinden würde. Umso mehr Anlass hatte sie, ihn zu verlassen. Bevor sie irgendetwas Dummes tat, wie zum Beispiel Ja zu sagen.
Du liebe Güte, sie zog es tatsächlich in Erwägung. Wie konnte sie nur? Sie wusste doch, dass ihm hauptsächlich das Baby wichtig war. Unbewusst legte Carissa beschützend die Hände auf den Bauch. Was, wenn etwas schiefging? Was würde dann aus ihrer Ehe werden? Eine Scheidung war in Carramer nicht möglich. Eduard und sie wären für immer aneinandergefesselt. Ohne noch einen Grund zu haben zusammenzubleiben.
Ein Laut zwischen Schluchzen und Lachen stieg in ihr auf. Als Teenager hatte sie davon geträumt, Eduard zu heiraten und ein Kind mit ihm zu haben. Jetzt hatte er genau das vorgeschlagen, und sie wollte davonlaufen.
Plötzlich kam ihr ein neuer Gedanke. Wenn sie Eduard heiratete, würde ihr Baby zur Fürstenfamilie von Carramer gehören. Es würde die Geborgenheit und Stabilität erleben, die sie sich immer gewünscht hatte. Habe ich das Recht, meinem Kind dieses Glück zu verweigern, weil ich unbedingt aus Liebe heiraten will?, fragte sich Carissa gequält.
Oh, Eduard war clever. Er hatte sie auf der Terrasse allein gelassen, damit sie genau darüber nachdachte. Mit der Arglosigkeit der Jugend hatte sie sich ihm anvertraut, und deshalb kannte er sie so gut. Nach so vielen Jahren holten sie die Geheimnisse noch wieder ein, die sie ihm damals verraten hatte.
Eduard wusste, wie sehr sie unter dem unsteten Diplomatenleben ihres Vaters gelitten und sich nach einem richtigen Zuhause gesehnt hatte. Jetzt bot er es ihr und ihrem Kind an. Der Preis war eine auf Freundschaft statt auf Liebe gegründete Ehe.
Noch immer überlegte sie hin und her, als sie Anton ankommen hörte. Hektisch gab er einem Kellner Anweisungen, der einen Servierwagen ins Wohnzimmer schob. Sie wartete ein paar Minuten, dann ging sie hinein.
Der Servierwagen war in einen Tisch umgewandelt und zwei Stühle herangezogen worden. In der Mitte des Tisches flackerte eine Kerze.
„Wir bedienen uns selbst, danke, Anton“, sagte Eduard.
Antons forschender Blick ließ Carissa erröten, doch sie hielt den Kopf erhoben.
„Rufen Sie an, wenn Sie wünschen, dass abgeräumt wird, Lord Merrisand.“
Eduard nickte, und Anton drängte den Kellner vor sich her aus der Suite.
Während des Essens machte Eduard so ruhig und gewandt Small Talk, als würden sie bei einer normalen Verabredung zusammensitzen, anstatt eine Heirat in Erwägung zu ziehen.
Denn Carissa zog tatsächlich in Erwägung, Ja zu sagen. Wahrscheinlich sollte sie mal zu einem Psychiater gehen. Zwar liebte Eduard sie nicht, aber sie war gefährlich nahe daran, ihn zu lieben. Das allein war Grund genug, sich seinen Antrag zu überlegen.
Nicht heute Abend. Ihr Stolz verlangte, dass sie ihre Gefühle für sich behielt, solange Eduard sie nicht teilte. Ich kann mich ebenso gut schon daran gewöhnen, dachte Carissa. Wenn sie heirateten, würde sie für lange Zeit damit leben müssen.
10. KAPITEL
Am nächsten Morgen stellte Carissa beim Aufwachen fest, dass ihr nicht übel war. Dieses Gefühl war so neu, dass sie zunächst einen Moment in sich hineinhorchte. Doch ihr Magen blieb ruhig. Sie lächelte. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich gut. Besser als gut. Großartig.
„Danke, Kleines“, murmelte sie und tätschelte durch die feine Seide ihren Bauch. Das Rascheln des Stoffs erinnerte sie daran, dass Eduard das Nachthemd ausgesucht hatte.
Ihr Lächeln verblasste schlagartig. Er hatte ihr auch einen Heiratsantrag gemacht. Am Ende des ach so höflichen Gesprächs über Nichtigkeiten beim Abendessen hatte sie ihm versprochen, ihm ihre Antwort heute zu geben, wenn sie zurück auf dem Landsitz waren. Wie sie sich entscheiden würde, wusste sie noch immer nicht.
Carissa wollte Ja sagen, aber so einfach war das nicht. Ihrem Baby und sich selbst zuliebe musste sie es sich gründlich überlegen.
Nicht, dass Nachdenken ihr in der vergangenen Nacht weitergeholfen hatte. Stundenlang hatte sie gegrübelt, bis sie schließlich in
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