Julia Extra Band 0292
misstrauischen Seitenblick zu, knallte den Kofferraum zu und klopfte zweimal drauf, als Zeichen, dass der Chauffeur losfahren konnte. „Planst du etwa, während deines Aufenthaltes in Italien auch wilde Partys zu veranstalten?“
„Möglicherweise.“ Libby versuchte, mit ihm Schritt zu halten, während er sie durch den überfüllten Terminal dirigierte. Natürlich lag ihr nichts ferner, aber Romanos ständige Anspielungen gingen ihr langsam auf die Nerven. Andererseits wusste sie, dass sie es mit ihrer Patzigkeit etwas zu weit trieb. „Ich war mir einfach nicht sicher, was ich mitnehmen sollte … oder wie lange ich bleiben würde“, lenkte sie deshalb ein. „Außerdem habe ich auch ein paar Dinge für Giorgio eingepackt.“
Was das wohl sein mochte!, überlegte Romano zynisch. Geschenke, die ihn über die verlorenen Jahre ohne seine Mutter hinwegtrösten sollten? Irgendetwas, womit sie sich die Sympathie ihres Sohnes erkaufen wollte?
Die Reise im familieneigenen Privatjet verlief für Libby nicht so entspannend, wie man es angesichts des Komforts an Bord hätte erwarten können. Möglicherweise lag das ja auch an Lucas älterem Bruder, der ihr dumpf brütend im ledernen Luxussitz gegenübersaß und sie nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Deshalb war sie froh, als er nach einer Weile seinen Laptop aufklappte und sich in irgendwelche Arbeiten vertiefte.
Libby seufzte innerlich erleichtert auf, schaute aus dem Seitenfenster in den regenverhangenen Himmel und überließ sich ihren schweren Gedanken, aus denen sie erst wieder aufschreckte, als Romano sie ansprach.
„Möchtest du irgendetwas?“
Sie wandte ihren Blick von ihm zu der hübschen blonden Stewardess, die abwartend neben seinem Sitz stand, und schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein danke.“ In ihrer derzeitigen Verfassung verspürte sie weder Hunger noch Durst.
„Bist du ganz sicher? Es kann eine Weile dauern, bevor du erneut die Chance bekommst, etwas zu dir zu nehmen.“
Lag da etwa ein Anflug von Besorgnis in seiner Stimme? Bestimmt hatte sie sich getäuscht.
„Ganz sicher.“
Wie Giorgio wohl aussehen mochte? Natürlich würde er sich nicht an sie erinnern, aber vielleicht gab es ja ein Band zwischen ihnen, das er spüren konnte. Oder war sie eine völlig Fremde für ihn?
Kalte Furcht beschlich Libby und legte sich wie ein dichter grauer Nebel über ihr Gemüt. In knapp drei Wochen feierte ihr Sohn seinen sechsten Geburtstag. Ob er damit bereits alt genug war, ihr vorzuwerfen, dass sie ihn verlassen hatte? Und wenn ja, würde er ihr jemals vergeben können?
Vielleicht. Wenn er wüsste, wie sehr sie sich die ganzen Jahre über nach ihm gesehnt hatte …
Vor etwa vier Jahren war sie anlässlich einer Modenschau in Italien gewesen und hatte zufällig in einer Illustrierten gelesen, dass die Vincenzos sich zur gleichen Zeit in Mailand aufhielten. Stunden hatte sie vor dem prachtvollen Hotel gewartet, ehe sie einen kurzen Blick auf Lucas Mutter und den zweijährigen kleinen Jungen an ihrer Hand erhaschte.
Sie hatte sogar Bruchstücke von seinem Babygeplapper hören können, aber kein Wort verstanden. Ihr Sohn war ein echter Italiener geworden. Danach brauchte Libby vier Monate, um über diesen Schock hinwegzukommen.
„Hier.“
Benommen schaute sie auf die Platte mit delikaten Sandwiches, die Romano auf dem Tisch zwischen ihnen platziert hatte. Duftendes weißes Brot mit Wildlachs und weichem Käse, garniert mit Zitronenspalten und Cocktailtomaten. Unter anderen Umständen durchaus verlockend.
„Ich kann nicht …“
„Ich weiß“, unterbrach er sie ruhig und umfasste ihre Hand, als sie das Essen zu ihm hinüberschieben wollte.
Es wird dir aber danach besser gehen, sagte sein überraschend sanfter Blick.
Ob Romano tatsächlich nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte? Ahnte er etwas von dem Tumult in ihrem Innern – von ihrer Beklommenheit, ihrer Furcht und den erstickenden Schuldgefühlen?
Und selbst wenn, dann dachte er wahrscheinlich nur, dass sie genau das bekam, was sie verdient hatte …
Gedankenverloren biss Libby von einem Lachssandwich ab und schaute wieder aus dem Fenster.
Sie war froh, als der Jet endlich landete und sie von einer anderen Luxuslimousine mit Chauffeur abgeholt und zum Familiensitz, dem Palazzo der Vincenzos, gefahren wurden. Und das, obwohl sie dort die unglücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Inzwischen war es später Nachmittag, und die Sonnenstrahlen wurden in sanftem Goldton
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