Julia Extra Band 0292
Schulter. „In einer Viertelstunde. Ich erwarte euch unten.“
Shannay war nicht gefasst auf die starken körperlichen Veränderungen, die sie bei Ramón feststellte. Sie hatte ihn als einen starken Mann in Erinnerung, der ihr trotz seines hohen Alters stets dynamisch und kraftvoll erschienen war.
Er hatte ihr viel Mitgefühl und Zuneigung entgegengebracht und ihr geholfen, Spanisch zu lernen, sich mit dem Reichtum und Leben der Familie Martinez zu arrangieren und die Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern waren. In gewisser Weise war er ihr Mentor gewesen.
Es wirkte herzzerreißend, ihn nun so geschwächt vorzufinden. Zuerst fühlte sie sich unsicher und zweifelte, ob das frühere Einvernehmen zwischen ihnen weiterhin bestand. Immerhin hatte sie sich praktisch bei Nacht und Nebel davongeschlichen und nur eine knappe Nachricht für Manolo zurückgelassen, ohne ein einziges Abschiedswort für die anderen Familienmitglieder.
„ Hola. “
Es war weniger der fast vergessene Gruß aus glücklicheren Tagen, sondern vielmehr der vertrauliche Tonfall und das sanfte Lächeln, das ihr Tränen in die Augen trieb. „Hallo, Ramón.“ Sie zögerte nicht länger, eilte zu ihm und küsste ihn auf die Wange. „Wie geht es dir?“
Seine dunklen Augen funkelten humorvoll. „Wie sehe ich denn aus?“
Abwägend neigte sie den Kopf zur Seite. „Ein bisschen weniger wie der Löwe, den ich in Erinnerung habe.“
„Wie schön du lügen kannst.“ Er lachte leise. „Aber ich verzeihe dir, dass du einem alten Mann schmeichelst.“ Er nahm ihre Hand. „Und jetzt stell mir meine Urenkelin vor.“
Manolo trat mit Nicki auf dem Arm vor.
Ramóns Züge wurden ganz sanft und seine Augen feucht. „Bring sie näher.“
Einen Moment lang wirkte Nicki ängstlich. Dann, als Manolo ihr leise etwas zuflüsterte, nickte sie und sagte: „ Hola, bisabuelo .“
Shannays Augen wurden groß vor Überraschung. Nicki hatte das spanische Wort für Urgroßvater nahezu perfekt ausgesprochen. Manolo oder María mussten es ihr beigebracht haben.
Ramón freute sich riesig und schmunzelte. „Nicki … Das ist ein wunderschöner Name für ein wunderschönes Mädchen.“
„Mein Daddy nennt mich manchmal pequeña. Das heißt Kleine“, erklärte sie ernsthaft.
„Das stimmt. Du musst mich oft besuchen. Dann bringe ich dir noch mehr Spanisch bei.“
„Aber ich muss zuerst Mummy fragen, ob ich darf.“
„Da hast du recht.“ Ramón wandte sich an Shannay. „Darf sie?“
„Natürlich. Sehr gern sogar.“
„Manolo soll dich zu mir bringen“, sagte er zu Nicki.
Sie wirkte verunsichert. „Und meine Mummy?“
„Deine Mummy natürlich auch. Du kommst am besten vormittags. Dann kannst du den Rest des Tages spielen.“ Er blickte auf, als sich die Tür öffnete. „Ah, da ist Sofía mit dem Tee.“
Zum Tee wurden köstliche Pasteten gereicht und unverfängliche Gesprächsthemen angeschnitten. Nach einer Weile drängte Manolo zum Aufbruch.
Auf der Rückfahrt, als sie einen wunderschönen Vergnügungspark passierten, versprach er impulsiv, bald einen Tagesausflug dorthin zu unternehmen.
„Aber du bist doch viel zu beschäftigt“, protestierte Shannay.
„Hältst du es für unmöglich, dass ich zu delegieren gelernt habe?“
„Für unwahrscheinlich.“
„Du irrst dich.“
„Wir erwarten nicht, dass du uns so viel deiner Zeit opferst“, beharrte sie steif.
Manolo ließ den Blick bedeutungsvoll zu ihren Lippen gleiten und dort verharren. „Aber es ist mir ein Vergnügen.“
Sie spürte ihre Wangen erglühen und warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor sie sich dem Fenster zuwandte und vorgab, die Landschaft zu betrachten.
Beim Dinner an diesem Abend wiederholte Shannay entschieden, dass sie keineswegs erwartete, von ihm unterhalten zu werden. „Reagiert deine neueste Flamme nicht ungehalten auf deine ständige Abwesenheit?“
Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch. „Du meinst meine Abwesenheit aus ihrem Bett? Das wäre durchaus möglich.“ Er hielt inne und beobachtete den Puls an ihrem Hals, der heftig pochte. „Wenn ich denn eine hätte.“
„Und was ist mit deiner alten Flamme? Ist Estrella etwa eine perfekte Mätresse geworden, die sich nie beklagt?“
„Das solltest du ihren Ehemann fragen.“
Estrella hatte geheiratet? Das verblüffte Shannay maßlos.
„Es fällt mir schwer, zu glauben, dass sie dich aufgegeben hat.“
„Für eine Affäre braucht es immer zwei, querida , und ich war nie ein
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