Julia Extra Band 0293
Susan ahnen würde, wie tief er in seinem Leben schon gesunken war, hätte sie sich keine Sekunde lang von ihren Gefühlen täuschen lassen. Sie hätte ihn mit Verachtung betrachtet anstatt mit Hoffnung.
Und vermutlich wäre das für sie beide besser gewesen. Aber inzwischen zählte das sowieso nicht mehr. Sie hasste ihn, und das mit Recht.
Trotzdem brauchte er weiterhin ihre Hilfe. Nachdem Stears die Nachricht von Julians Hochzeit in der Architekturwelt verbreitet hatte, wartete jedermann darauf, das Gerücht bestätigt zu wissen. Julian musste vor der Welt den geläuterten Ehemann spielen – die Scharade begann von vorn.
Schon heute Abend.
Überrascht öffnete Susan den Mund, als Julian am Ende ihres zweiten Arbeitstages wieder im Büro erschien.
„Ich dachte, du wärst für mehrere Wochen in London“, wunderte sie sich laut.
„Planänderung“, entgegnete er knapp. „Stears ist ebenfalls in London und erzählt jedem, wir wären frisch verheiratet.“
Sie zuckte die Achseln. „Das war doch wohl zu erwarten, oder?“
„Ich hätte nicht vermutet, dass er so dreist ist“, ärgerte sich Julian. „Wenn er jetzt nicht ausgerechnet in London wäre, hätte es zu diesem Zeitpunkt niemand erfahren. Stattdessen ist es das Gesprächsthema Nummer eins.“ Er raufte sich die Haare. „Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben.“
„Schadensbegrenzung?“, wiederholte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Innerlich war sie wie betäubt, während Julian so frisch und energiegeladen wie eh und je wirkte. Er schien keinerlei Reue darüber zu empfinden, wie er Susan benutzt hatte.
„Heute Abend wird ein großes Dinner veranstaltet“, verkündete er. „Ein Architekt im Ruhestand, Edward Soames, erhält eine Auszeichnung. Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen, aber wie es jetzt aussieht …“
„Wäre es eine optimale Gelegenheit, deine Angetraute in die Gesellschaft einzuführen?“, mutmaßte Susan. „Damit alles schön echt aussieht?“
„So in etwa“, gab er zu und richtete sich zu voller Größe auf. „Ich möchte dich bitten, mit mir hinzugehen. Wir haben beide viel zu verlieren.“
„Ich fühle mich im Augenblick nicht so, als hätte ich noch viel zu verlieren“, antwortete sie kühl und richtete ihren Blick wieder auf den Computerbildschirm vor sich. „Ich habe bereits alles verloren.“
„Wenn ich gewusst hätte, wie melodramatisch und liebeskrank du wirst, hätte ich dich nie nach Sin Rimbert mitgenommen!“
„Ich wünschte mir, du hättest es nicht getan.“
Dennoch trug sie an diesem Abend wieder ihr silbernes Abendkleid und starrte sich ratlos im Spiegel ihres Schlafzimmerschranks an. Das innere Taubheitsgefühl hatte zum Glück nicht nachgelassen. Vielleicht war es eine Art Schutzfunktion ihrer Seele – was immer es war, Susan konnte sich glücklich schätzen, dass sie im Moment nichts fühlte.
„Wow, du siehst fantastisch aus, Susan.“ Dani stand in der Tür und sah auch so aus, als wenn sie ausgehen wollte.
Susan lächelte milde. „Danke.“ Sie freute sich, dass Dani wieder zu Hause war, auch wenn sich das Zusammenleben etwas schwierig gestaltete. Vermutlich musste sie ihrer Schwester nur Zeit geben, ihr Leben neu zu organisieren, sie selbst war schließlich in der gleichen Lage. Sie brauchte Zeit, um die Wunden, die Julian ihr zugefügt hatte, heilen zu lassen.
Aber die Fragen nach der Zukunft blieben unbeantwortet. Man würde sie erst nach und nach lösen können.
„Gehst du mit diesem Kerl aus, mit dem du das Wochenende verbracht hast?“, erkundigte sich Dani.
Susan seufzte. „Mit meinem Boss, ja. Aber es ist ein geschäftlicher Termin. Das hat nichts mit uns persönlich zu tun.“
„Bist du da ganz sicher?“, neckte Dani sie.
„Ja, absolut.“
Es klingelte an der Tür. Julian hatte darauf bestanden, sie von zu Hause abzuholen, damit sie zusammen beim Dinner erschienen. Wie ein glücklich verheiratetes Paar.
„Ist er das?“, fragte Dani.
„Ja, aber …“
Bevor Susan widersprechen konnte, eilte Dani schon die Treppe hinunter.
„Hi. Du musst Dani sein.“
Susan hörte Julians tiefe Stimme, gefolgt von Danis glockenhellem Gekicher.
„Ich bin fertig, Julian“, rief Susan laut und griff hastig nach ihrer Handtasche. Sie wollte auf keinen Fall, dass er sich in ihr Privatleben einmischte – dass er Dani beeinflusste!
„Du siehst toll aus“, murmelte er kurze Zeit später, als er ihr in den leichten Sommermantel half. Dann wandte er sich an ihre
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