Julia Extra Band 0293
um zu schieben, obwohl ihre Muskeln auf dem steilen Straßenstück schon fürchterlich brennen mussten. Er sah ihr zu, bis sie in einem Wäldchen außer Sicht geriet. Da er annahm, sie würde entweder umdrehen oder zu einem der Ferienhäuser weiter unten am Hang unterwegs sein, ging er ins Haus, um sich noch einen Kaffee zu holen. Es gibt ja nichts mehr zu sehen, dachte er.
Doch das war ein Irrtum. Als er wieder nach draußen kam, radelte die Frau unentwegt weiter die nun schmale Straße bergan, die in einen Privatweg mündete.
Meinen Privatweg, dachte Ethan ablehnend.
Trotzdem war er beeindruckt von der Ausdauer und der Fitness der Radlerin. Er schaffte den Anstieg zu seinem Anwesen nicht ohne zwei- oder sogar dreimal anzuhalten … und öfter als das lauthals zu fluchen.
Da die Frau einen Sturzhelm und eine große Sonnenbrille trug, konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, sondern nur feststellen, dass sie dunkles Haar hatte, dessen kurze Wellen unter dem Helm hervorsahen. Sie wirkte klein und zierlich, war aber offensichtlich sehr athletisch. Hier heraufzuradeln war kein Kinderspiel!
Als sie das flache Stück Weg vor seinem Haus erreichte, ging Ethan zu den Stufen, die von der Terrasse direkt auf die Auffahrt führten. Die Unbekannte trug eine gelbe Jacke über einer eng anliegenden schwarzen Radlerhose, die die straffen Oberschenkel bestens zur Geltung brachte.
Schön definierte Muskeln wirken durchaus nicht immer unweiblich, fand er.
Unvermittelt überkam ihn ein heftiges Begehren, als er sich vorstellte, wie sich diese Beine anfühlen würden …
Schnell rief er sich zur Ordnung und winkte der Frau zu. „Guten Morgen.“
„Morgen!“, erwiderte sie, außer Atem.
Sie war offensichtlich nicht von hier, stellte er fest, und doch kam ihm irgendetwas an ihr vertraut vor.
„Ein höllischer Anstieg, stimmt’s?“, meinte er im Plauderton.
Sie nickte nur. Ihre Brust hob sich bei den tiefen Atemzügen, und er konnte den Blick nicht abwenden.
Wieder musste er sich streng zur Ordnung rufen.
„Geht’s? Oder muss ich die Sanitäter rufen?“, erkundigte Ethan sich scherzhaft.
„Nein … Danke.“ Sie hielt an und stieg ab. Nachdem sie das Rad fixiert hatte, beugte sie sich vor und stützte die Hände auf die Knie. „Ich … muss nur … wieder zu Atem … kommen.“
Ihre Stimme erinnerte ihn an die von Claire. Aber seine Exfrau würde hier nicht einfach so auftauchen! Er dachte jetzt nur so häufig an sie, weil er vor kurzem mit ihr gesprochen und sogar von ihr geträumt hatte.
Er musterte die Frau genauer. Nein, das war auf keinen Fall Claire. Sie war viel zierlicher gewesen und hatte Herausforderungen jeglicher Art immer gescheut.
Ethan entspannte sich. „Wie wär’s mit einer kleinen Erfrischung auf meiner Terrasse? Als Belohnung für die Anstrengung. Ich kann Kaffee oder Orangensaft anbieten.“
Dieses Angebot überraschte Claire ebenso wie die freundliche Begrüßung. Sie hatte nicht erwartet, dass Ethan glücklich sein würde, sie zu sehen, aber er nahm ihr plötzliches Auftauchen erstaunlich gelassen hin. Damit war es bestimmt vorbei, sobald sie ihm sagte, was sie auf dem Herzen hatte.
Fürs Erste genoss sie aber noch seinen Anblick, während sie ihn unauffällig betrachtete. Er sah großartig aus! Noch viel attraktiver als auf dem Foto, das sie im Internet gefunden hatte.
Sie atmete tief durch. „Ich hätte gern Saft“, antwortete sie schließlich.
Er nickte und ging ins Haus.
Claire richtete sich auf und nahm den Helm ab. Mit einer Hand versuchte sie ihre Frisur zu ordnen, aber das war vergebliche Liebesmüh. Sie schob die Sonnenbrille ins Haar und stieg, mit schweren Beinen, die Stufen zur Terrasse hinauf.
Unter anderen Umständen hätte sie das herrliche Panorama genossen, aber sie war viel zu nervös.
Eigentlich hatte sie gar nicht geplant, Ethan zu besuchen, sondern war einfach losgeradelt. Sie war schon mehr als vierundzwanzig Stunden hier in Glen Arbor und hatte noch nicht den Mut gefunden, ihn mit den unliebsamen Neuigkeiten zu konfrontieren.
Simone hatte per E-Mail versichert, dass bisher nichts an die Öffentlichkeit gedrungen war, aber das war nur ein schwacher Trost.
Claire hatte ein Zimmer in einer Frühstückspension gefunden, die über jeglichen modernen Komfort verfügte, obwohl das Haus ursprünglich ein Bauernhof gewesen und über hundert Jahre alt war.
Als sie beiläufig bemerkt hatte, sie hätte ihr Rad mitnehmen sollen, hatte die Wirtin ihr sofort ihres
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