Julia Extra Band 0299
war ihr Verderben. Es kam ihr vor, als würde ihr Herz explodieren.
Ein letzter klarer Gedanke drang in ihr Bewusstsein, bevor sie ohnmächtig zu Boden stürzte. Das ist mein Baby.
Isandro Vicario Salazar stand am Fenster der Suite, in die er Rosanne getragen hatte. Sein Blick fiel auf einen Kirchturm in der Nähe, auf den Verkehr in den Straßen unter ihm. Und doch sah er nichts davon.
Rosanne Carmichael. Rosanne Salazar. Seine Frau.
Seine treulose Frau. Seine Frau, die ihn und ihr Baby nur wenige Stunden nach der Geburt im Stich gelassen hatte, weil sie sich nicht dazu bereit gefühlt hatte, Ehefrau und Mutter zu sein .
An jenem Tag hatte er sie nach der Geburt alleine gelassen, damit sie sich ausruhen und erholen konnte. Einige Stunden später war er zurückgekommen … und sie war fort. Seither hatte er sie nicht wiedergesehen.
Ein schwaches Geräusch vom Bett her ließ ihn zusammenfahren. Langsam drehte er sich um.
Rosanne wartete einen Moment, bevor sie die Augen aufschlug. Das hatte sie sich in den vergangenen zwei Jahren angewöhnt. Ein letzter Moment, bevor die Realität Einzug hielt, ein Moment, um Bilanz zu ziehen, um zu lauschen, was ihr Körper sagte. Um den Empfindungen nachzuspüren, zu fühlen, ob es Schmerzen gab … ob es ihr gut ging.
Sie öffnete die Augen. Und da war er. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Ihr Ehemann stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Der maßgeschneiderte italienische Anzug schmiegte sich an seinen beeindruckenden Körper, betonte die starken Schultern, die breite Brust.
„Also …“, sagte er spöttisch. „Mir zu begegnen, war offensichtlich ein Schock für dich. Was wirklich seltsam ist, schließlich gehört mir dieses Hotel.“
Rosanne spürte, wie die Betäubung von ihr wich, wie das schützende Entsetzen zersplitterte. Sein Hotel? Seit wann besaß er ein Hotel in London? Obschon ihn seine Geschäfte immer wieder hierher führten, hatte er aus seiner Abneigung gegen die Metropole nie einen Hehl gemacht. Und warum hatte sie ausgerechnet sein Hotel ausgewählt … aus tausend anderen?
Und wie war sie in dieses Zimmer gelangt?
Dann fiel ihr alles wieder ein. Ihr Baby, ihr Sohn … sie hatte ihn gesehen, ihn gehalten.
„Habe ich … habe ich ihn erschreckt?“ Ihre Kehle fühlte sich beim Sprechen rau an.
Die kalte Abscheu, die sie in den Augen ihres Ehemanns sah, traf sie wie ein Schlag.
„Nein. Wenn du das getan hättest, wärst du jetzt nicht hier.“
Unmissverständlich lag in seiner Stimme der Tonfall eines zu allem entschlossenen Beschützers. Rosanne richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Noch immer fühlte sich ihr Kopf an, als sei er in Watte gepackt. Vorsichtig blickte sie zu Isandro auf. So lange hatte sie von diesem Moment geträumt … aber selbst in ihren Fantasien hatte er sich nie über ihr Wiedersehen gefreut.
„Hast du ihn Zacarías genannt?“, fragte sie.
„Zac, ja.“
„Nach deinem Großvater …“
Ein verächtlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Bitte, fang gar nicht erst an, mir vorzuspielen, es interessiere dich.“
Rosanne zuckte zusammen. Alle Farbe wich aus ihren Wangen. Sie hatte gewusst, was ihr bei einer Begegnung mit Isandro bevorstand. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Sie hatte sich darauf vorbereiten wollen, sich in Ruhe überlegen, wie sie ihm alles erklären konnte …
„Deinen Liebhaber habe ich fortgeschickt.“
Gerade hatte Rosanne aufstehen wollen, nun sank sie zurück aufs Bett. Isandro beobachtete sie kühl. Es erforderte all seine Selbstbeherrschung, nicht zu ihr zu gehen, sie auf die Füße zu ziehen und zu verlangen, dass sie … ja, was eigentlich?
„Meinen was?“ Ungläubig schaute Rosanne ihn an.
„Deinen Liebhaber“, stieß er hervor. „Der Mann, mit dem du vorhin in der Lobby verabredet warst. Ihr habt doch sicher ein Zimmer hier gebucht. Hast du so die letzten zwei Jahre verbracht? Auf einer liederlichen Tour durch die Hotelzimmer dieser Welt mit irgendwelchen Männern? Hast du das damit gemeint, als du geschrieben hast, du seist noch nicht bereit für die Rolle der Ehefrau und Mutter?“
Irgendwelche Männer?
In Rosannes Kopf drehte sich alles. Wovon sprach Isandro nur? Plötzlich sah sie vor ihrem geistigen Auge ein freundliches, gutmütiges Gesicht, und sie begriff. „Bestimmt meinst du David Fairclough. Er ist mein Anwalt. Ich wollte mich in der Lobby mit ihm treffen,
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