Julia Extra Band 0299
dir an.“
Er reichte ihr die Mappe. Mit heftig pochendem Herzen schlug Rosanne sie auf. Sie war leer.
„Ich möchte eine Erklärung, Rosanne. Denn falls du nicht in den vergangenen zwei Jahren meditierend auf einem Berg in Indien gesessen hast, hast du nirgendwo auf dieser Welt eine Spur hinterlassen. Und glaub mir, wir haben gründlich gesucht.“
Das war er. Der Moment der Wahrheit.
Sie legte die Mappe auf den Schreibtisch und trat ans Fenster. Lange Zeit blickte sie hinaus in den Garten. Als sie sich wieder umdrehte, stellte sie fest, dass Isandro sie beobachtete. In seinen Augen lag keine Wärme.
„Du hast keine Spur von mir entdeckt, Isandro, weil ich an jenem Tag, an dem ich verschwunden bin, alle meine Karten, meine Unterlagen, alle Papiere verbrannt habe. Ich habe meinen zweiten Vornamen Louise verwendet und den Mädchennamen meiner Mutter, Miller. Ich habe mein Erbe auf ein Schweizer Nummernkonto transferiert und nur Geld abgehoben, wenn es unvermeidlich war.“
Während sie sprach, kam es Rosanne vor, als betrachte sie sich selbst aus weiter Ferne. Nichts schien sie wirklich zu betreffen.
„Das erklärt immer noch nicht, wo du gewesen bist.“
Rosanne atmete tief ein und aus. Sie wollte die Worte so leidenschaftslos sprechen wie möglich. Alles andere würde zu sehr wehtun. „Ich war in Frankreich, in einer kleinen Stadt in der Nähe von Paris. In einer Klinik.“
Sie sah, wie Isandro verständnislos die Brauen zusammenzog. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie betete um die Kraft, auch den letzten Schritt durchzustehen. Einen Moment schloss sie die Augen.
„Es war … ist … eine auf Krebs spezialisierte Klinik.“
11. KAPITEL
Rosanne fühlte sich schwindelig. In ihrem Kopf drehte sich alles, so als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Sie atmete ein paarmal tief ein und aus.
Isandro trat auf sie zu, griff nach ihrem Arm und zwang sie, sich auf einen Stuhl zu setzen. Er nahm ihr gegenüber Platz.
„Als ich im siebten Monat schwanger war, bin ich zu einer Routineuntersuchung gegangen. Ich fühlte mich so müde und ausgelaugt, war häufig erkältet …“
Isandro nickte. „Du hattest oft Nasenbluten.“
„Einige Tage nach dem Bluttest hat Dr. Campbell mich angerufen und mich gebeten, in ihre Praxis zu kommen. Du warst auf dem Rückweg von einer Konferenz in New York, aber das Flugzeug hatte Verspätung.“
Wieder nickte er. Auch daran erinnerte er sich. Seit er damals zurückgekommen war, hatte sie sich ihm gegenüber kalt und distanziert verhalten.
„Als ich in die Praxis kam, war noch ein zweiter Arzt anwesend. Professor Erol Villiers sagte mir, dass man etwas in meinem Blut gefunden habe. AML. Das ist eine akute Form der Leukämie.“
Ganz gleich, wie oft sie die Diagnose wiederholte, sie verlor nichts von dem Schrecken, den sie damals empfunden hatte. Isandro saß völlig bewegungslos da. Er stand eindeutig unter Schock.
„Er wollte, dass ich sofort mit der Chemotherapie beginne, doch das habe ich abgelehnt.“
„Warum?“
„Weil die Behandlung dem Baby hätte schaden können. Es bestand die Gefahr einer Frühgeburt, von Missbildungen. Das Risiko konnte ich nicht eingehen. Damals nicht, und ich würde es auch heute nicht tun.“
„Aber …“ Isandro erhob sich und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Weil ich die Chemotherapie abgelehnt habe, sanken meine eigenen Überlebenschancen. Aber …“, sie zuckte die Schultern, „… Zacs Gesundheit war wichtiger als alles andere. Den Ärzten war klar, dass ich meine Meinung nicht ändern würde. Also baten sie mich, unmittelbar nach der Geburt in diese Spezialklinik nach Frankreich zu gehen.“
Rosanne machte eine Pause und holte tief Luft. „Du weißt, dass meine Mutter an Brustkrebs gestorben ist. Da war ich gerade fünf. Ich erinnere mich an die Behandlung, an ihre Schmerzen. Daran, wie es immer schlechter um sie stand. Ich wollte nicht, dass Zac sich an mich gewöhnt – auch nicht für eine noch so kurze Zeit, nur um mich dann wieder zu verlieren. Ich wusste, dass er bei dir in Sicherheit sein würde. Du hast dich so sehr auf ihn gefreut.“
Sie rieb mit den Händen über ihre Arme. „Es war mein voller Ernst, als ich sagte, dass ich nicht damit gerechnet habe, dich oder Zac je wiederzusehen. Meine Überlebenschance war sehr gering. Eigentlich bin ich nach Frankreich gegangen, um zu …“
Um zu sterben.
Die unausgesprochenen Worte hingen schwer in der Luft.
„Was ist dann passiert?“, fragte
Weitere Kostenlose Bücher