Julia Extra Band 0299
Isandro. Seine Stimme klang rau und brüchig.
Also erzählte sie ihm von der Chemotherapie, bei der ihr die Haare ausgefallen waren. Von der Narbe, die von dem Schlauch stammte, der in ihre Brust geführt wurde. Davon, dass die Behandlung erfolglos blieb, weil sie zu spät begonnen wurde. Davon, dass eine Knochenmarkspende die einzige Rettung darstellte. Und wie unwahrscheinlich das Glück war, einen passenden Spender außerhalb der Familie zu finden.
„Warum hast du mich nicht angerufen?“
„Weil es auch mit Operation nur eine fünfzig-fünfzig Chance gab, eher weniger. Selbst mit all deinem Geld, all deinem Einfluss hättest du daran nichts ändern können. Und nach der Transplantation lebt man drei Monate in fast vollständiger Quarantäne, um die Infektionsgefahr so gering wie möglich zu halten. Verstehst du? Es hätte überhaupt keinen Sinn gemacht, mich zu melden.“
Ihre Stimme brach, aber Rosanne zwang sich weiterzusprechen. „Ich habe nie damit gerechnet, so lange zu überleben. Auch nach einer erfolgreichen Operation besteht immer noch die Möglichkeit, dass das fremde Knochenmark vom Körper abgestoßen wird. Ich hätte es nicht ertragen, dich und Zac durch die Glasscheibe der Quarantänestation sehen zu müssen.“
Isandro ballte die Hände zu Fäusten. Rosanne wirkt so verletzlich, wie sie dort auf dem Stuhl sitzt. Ein Sturm der Gefühle durchbrach die unheimliche Betäubung, die sich über ihn gelegt hatte. Instinktiv trat er auf sie zu. Doch dann blieb er abrupt stehen. Er fühlte sich, als würde er innerlich entzweigerissen.
Er wollte zu ihr gehen, sie in die Arme schließen und nie wieder loslassen. Und doch konnte er es nicht. Noch nicht. Er fürchtete sich vor dem, was er dann empfinden würde.
„Und was ist mit der Nachricht, die du geschrieben hast?“
Rosanne errötete. „Damit wollte ich sicherstellen, dass du mich nicht suchst. Ich dachte, wenn ich dich bei deinem Ego packe, deinem Stolz …“
Etwas blitzte in seinen Augen auf. In diesem Moment begriff er.
„Ich habe noch andere Briefe an dich und Zac geschrieben. Briefe, die an euch geschickt werden sollten … in denen ich alles erkläre und mich entschuldige. Ich wollte nicht, dass Zac in dem Glauben aufwächst, eine schlechte Mutter gehabt zu haben.“
„Und trotzdem lässt du mich jetzt seit Wochen in diesem Glauben?“
„Ein paar Mal habe ich versucht, dir alles zu erklären. Es ist nicht gerade leicht für mich. Der Tag, an dem wir uns zufällig in deinem Hotel in London begegnet sind, war wirklich mein erster Tag außerhalb der Klinik.“
Isandro erinnerte sich an die heiße Wut, die er damals empfunden hatte. Und er dachte an die Nacht, in der sie sich gestritten hatten. An seine hässlichen Worte, an ihre Reaktion … Aber wie hätte er das alles ahnen können? Wieder legte sich jene seltsame Betäubung über sein Bewusstsein, die verhinderte, dass seine Gefühle ihn überwältigten.
„Warum hast du mir damals nichts von der Diagnose erzählt? Ich weiß, dass unsere Ehe nur ein Geschäft war, aber selbstverständlich hätte ich dich in jeder nur denkbaren Hinsicht unterstützt. Du hättest die Krankheit nicht alleine durchstehen müssen.“
„Ich habe dir nichts gesagt, weil ich Angst hatte, dass du die Meinung der Ärzte teilen und mich zu der aggressiven Chemotherapie zwingen würdest. Und Zacs Wohlergehen war wichtiger als mein eigenes. Nein, meine Entscheidung stand fest. Erst kam Zac, dann ich.“ Ihr Tonfall war ohne jedes Selbstmitleid. „Und ich habe nie, absolut nie damit gerechnet, dass ich einmal hier stehen und dir alles erklären würde. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich niemals fortgegangen. Das musst du mir glauben.“
Das tat er. Er glaubte ihr. Zu unverkennbar war der Schmerz in ihrem Gesicht, in ihren Augen. Tiefste Seelenqual, die er schon zuvor darin gelesen hatte. Der Drang, Rosanne in die Arme zu schließen, war mittlerweile überwältigend stark. Rücksichtslos schob er ihn beiseite – obschon ihn deswegen schreckliche Schuldgefühle plagten.
Als die Nachforschungen seiner Detektive rein gar nichts ergeben hatten, war ihm bewusst geworden, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Er konnte die Tatsachen nicht länger ignorieren. Rosanne war einfach nicht der Typ, der aus reinem Egoismus das eigene Kind im Stich ließ. Das war alles nur gespielt gewesen – ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten in den letzten Wochen.
Aber was bedeutete das?
Isandro empfand unzählige
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