Julia Extra Band 0302
ab. Mit ausholenden Schritten ging er zurück ins Büro und schloss entschieden die Terrassentür hinter sich.
Wenig später wurde Ann aus ihrem Schlaf aufgeschreckt, als Tina mit Ari auftauchte, der während seines Mittagsschläfchens wieder neue Energie getankt hatte und jetzt baden wollte. Ausgelassen planschten sie im Wasser herum. Später nahmen sie am Rand des Pools Erfrischungen zu sich, nachdem Aris Großmutter und ihre Cousine Eupheme sich zu ihnen gesellt hatten.
Während sie neben Ari auf der Hollywoodschaukel saß und mit ihm plauderte, ertappte Ann sich bei dem Gedanken, dass sie sich trotz der kurzen Zeit erstaunlich schnell und leicht hier eingepasst hatte, als hätte es nie dieses dunkle Kapitel in ihrem Leben gegeben, das sie von Ari getrennt hatte. Aber sie wusste auch, warum sie diesen Augenblick genießen konnte. Weil Nikos nicht bei ihnen war, um seinen unheilvoll einschüchternden Schatten über alles zu legen.
Trotzdem, beim Abendessen würde sie ihm wieder gegenübertreten müssen. Vorher war sie mit Tina im Kinderzimmer gewesen und hatte ihr geholfen, Ari ins Bett zu bringen. Wieder einmal hatte sie ihm vorgelesen, bis er eingeschlafen war, und als sie einen letzten Gutenachtkuss auf seine Stirn hauchte, spürte sie einen Kloß im Hals.
Carlas Sohn. Glücklich und behütet.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu ihrer eigenen Kindheit, als ihre ganze Welt aus ihrer älteren Schwester bestand, an die sie sich während der schrecklichen, verwirrenden Zeiten geklammert hatte, die sie beide hatten durchstehen müssen. Was hätte sie gemacht während all der Jahre ohne Carla, die sie in den Armen gehalten, sie vor dem Zubettgehen geküsst hatte. Sie war ihre Familie gewesen. Und jetzt gab sie Carlas Sohn einen Gutenachtkuss – der keine Mutter mehr hatte.
Aber Ari ist glücklich, dachte sie und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Er vermisst seine Eltern nicht, weil er sie nie richtig kennengelernt hat. Er hat seine Großmutter, seinen Onkel und ein liebevolles Kindermädchen. Und jetzt bin auch ich für ihn da, für kurze Zeit.
Das Bewusstsein, wie wenig Zeit ihr mit ihm blieb, griff wie eine kalte Hand nach ihrem Herzen. Verdammter Nikos Theakis!, dachte sie. Zum Teufel mit seiner verachtenswerten Doppelmoral, die ihm erlaubte, sich so viele Frauen zu gestatten, wie es ihm gefiel. Gleichzeitig nahm er sich heraus, von seinem hohen Ross herab ihre Schwester zu verhöhnen, die sich so gut wie möglich durchs Leben geschlagen hatte. Er hatte sie von Andreas ferngehalten und die beiden so um das bisschen gemeinsame Zeit betrogen, die ihnen noch geblieben war …
Ann schüttelte die trüben Gedanken ab. Es war sinnlos, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Carla war nicht mehr da, und Andreas auch nicht. Nur der kleine Ari war geblieben – und er war glücklich und zufrieden. Das genügte. Es musste genügen.
Erleichtert stellte Ann fest, dass von Nikos nichts zu sehen war, als sie und Tina den Salon betraten. Das Kindermädchen gesellte sich auf die Terrasse zu Eupheme, während Mrs. Theakis Ann lächelnd zu sich bat.
„Ich bin so froh, dass Sie endlich hier sind, meine Liebe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut, dass so viel Zeit vergangen ist, ohne dass sie ihren rechtmäßigen Platz in Aris Leben hatten.“ Ihr Blick umwölkte sich. „Ich habe unendlich getrauert“, fuhr sie langsam fort, „als Andreas ums Leben kam. Ein Kind zu verlieren ist die größte Tragödie überhaupt. Deshalb habe ich Sie darum gebeten, für Andreas’ Sohn sorgen zu dürfen. Denn wenn ich sein Kind in den Armen halte, habe ich das Gefühl, Gott habe mir meinen Sohn zurückgegeben. Damals haben Sie mir dieses Geschenk gemacht, das ich nie vergelten kann …“
Sie hielt inne, und Ann merkte, dass Mrs. Theakis kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Spontan nahm sie die schmale Hand der älteren Frau.
„Ich habe Ihnen das Kind sehr gerne überlassen“, sagte sie leise.
Plötzlich wurden Schritte laut, und eine Stimme drang von der Tür herüber.
„Überlassen?“, fragte Nikos scharf.
Sein Ton sandte einen eisigen Schauer über Anns Rücken.
Für den restlichen Abend versuchte sie ihr Bestes, Nikos so gut es ging zu ignorieren. Als sie dann endlich in ihrem Zimmer war und auf den Balkon trat, vor dem sich der nächtliche Garten und das dunkel schimmernde Meer ausbreitete, wurde sie von ihren Gefühlen überwältigt.
Warum lass ich zu, dass er mir so zu Kopf steigt?
Sie
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