Julia Extra Band 0302
Preis vermeiden. Er sollte ihre Vergangenheit nicht kennen, damals war sie ein völlig anderer Mensch gewesen.
„Nein, das hat noch nie jemand gesagt“, behauptete sie daher so überzeugend sie konnte.
Jonas bemerkte nicht, welch einen Aufruhr er in Aimis Innerem entfesselt hatte. Ungerührt lächelte er und setzte sich ihr wieder gegenüber. „Warum trägst du dein Haar immer hochgesteckt?“, fragte er weiter, und Aimi war erleichtert, dass er das Thema zu wechseln schien.
„Bis vor einigen Jahren habe ich es offen gelassen“, gab sie zu und bemühte sich, die Erinnerung nicht wieder aufleben zu lassen. Doch ihr war klar, dass er sich wundern würde, wenn sie zu einsilbig auf seine Fragen antwortete. „Ich … habe angefangen, es hochzustecken, als ich auf die Universität ging.“
„Ich hätte gewettet, als Studentin ist man besonders lässig“, sagte Jonas erstaunt.
Aimi schenkte ihm ein Lächeln, doch innerlich fror sie, weil sie spürte, dass die Vergangenheit im Begriff war, sie einzuholen. Sie zuckte die Achseln. „Das stimmt vielleicht für viele junge Studentinnen. Aber ich habe mein Studium sehr ernst genommen. Ich musste mich ziemlich anstrengen, Ablenkungen konnte ich mir nicht leisten.“ Am meisten anstrengen, dachte Aimi, musste sie sich damals, um nach dem schrecklichen Ereignis überhaupt weiterzuleben.
Jonas stützte sein Kinn in beide Hände und beobachtete, wie die Erinnerung ihr Gesicht verdunkelte. „Du musstest aufpassen, dass dich die Männer nicht zu sehr ablenkten, oder? Das kann ich mir gut vorstellen.“
Aimi zuckte zusammen. Sie nahm den Löffel und rührte gedankenverloren in ihrer Kaffeetasse. „Ich habe mich nicht für Männer interessiert. Ich wollte möglichst schnell mein Studium beenden.“ Und sie wollte vergessen – doch das war ihr nie gelungen.
„Aber du hättest doch trotzdem Spaß haben können“, widersprach Jonas behutsam.
Sie sah ihn streng an. „Ich habe dir doch schon gesagt: Ich war dort, um zu arbeiten. Außerdem hatte ich jemandem mein Wort gegeben, das konnte ich nicht brechen“, fügte sie ernst hinzu. Als sie spürte, wie schwer dieses Versprechen noch immer auf ihr lastete, unternahm sie den Versuch, ihre Gedanken davon zu befreien. „Du weißt doch, Blondinen haben es schwer, wenn sie zeigen wollen, dass sie nicht dumm sind“, ergänzte sie leichthin.
„Ja, ich weiß, was du meinst“, gab Jonas zu. „Schöne Frauen haben es nicht leicht, ernst genommen zu werden.“
Doch Aimi tat sich schwer damit, das Kompliment anzunehmen. „Ich bin nicht schön“, wehrte sie ab. Früher einmal hatte sie sich schön gefühlt, doch diese Zeiten waren vorbei.
Doch Jonas ließ sich nicht beirren. „Für mich bist du schön.“
Aimi lächelte, weil sie wusste, dass es von ihr erwartet wurde, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Vielleicht möchte ich gar nicht, dass mich jemand hübsch findet.“
Er lachte sanft. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ich habe dich angesehen, und du hast mein Innerstes berührt. Du könntest einen Sack tragen, und ich fände dich trotzdem attraktiv.“
Sie seufzte. Seine Worte trafen sie mitten ins Herz. Er war ein wunderbarer Mann. Egal was geschah, sie würde niemals bedauern, sich auf ihn eingelassen zu haben.
„Du musst so etwas nicht sagen. Ich bin glücklich, hier mit dir zusammen zu sein“, erwiderte sie schlicht. Sie ahnte, wie schwer es sein würde, wenn er sie verließe. Doch an diesen Augenblick wollte sie nicht denken.
Jonas nahm ihre Hand. „Ich will dir nicht schmeicheln, ich sage die Wahrheit, Aimi.“ Ganz leicht fuhr er mit dem Daumen über ihre Handfläche. „Du kannst mir wirklich vertrauen.“
Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Das tue ich. Ich vertraue dir.“ Warum sonst wäre sie hier?
Schützend nahm er ihre Hand zwischen seine beiden Hände und sah sie unverwandt an. „Ich meine, du kannst mir ein Geheimnis anvertrauen. Welche Geister quälen dich?“
Im Bruchteil einer Sekunde lagen ihre Nerven blank. „Geister?“, wiederholte sie. Ihr Mund war ausgetrocknet. O Gott, was wollte er andeuten? Wie viel wusste er? „Was meinst du damit?“
„Du hast heute Nacht im Schlaf gemurmelt und geweint“, erklärte er, worauf sich ihr Hals anfühlte wie zugeschnürt.
„Das ist doch lächerlich!“, bestritt sie vehement, doch sie ahnte, dass er die Wahrheit sprach. Schon oft war sie weinend aufgewacht. Sie hatte befürchtet, dass die Albträume zurückkehren könnten.
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