Julia Extra Band 0303
von der Tierpflege über die Geschichtsforschung bis hin zum modernen Medienbereich. Am besten ist es, sich zuerst im Beruf seiner Wahl zu qualifizieren, dann in der Personalabteilung vorzusprechen und nach vakanten Stellen zu fragen.“
„Wollten Sie schon immer Fremdenführerin werden?“
Ohne hinzuschauen wusste Kirsten sofort, dass die Frage von Rowe kam. Trotzdem richtete sie sich mit ihrer Antwort an die gesamte Gruppe. Nur ihre Stimme hatte plötzlich einen leicht rauen Klang. „Ich bin nicht hauptberuflich als Fremdenführerin tätig, wie etliche unserer Mitarbeiter, sondern springe nur bei Bedarf ein. Meine Berufsbezeichnung lautet korrekt: Kunst-Kuratorin des Merrisand-Trustes. Ich habe Kunstgeschichte studiert, mit dem Schwerpunkt auf Restaurierung alter Substanz, und während des Studiums ein praktisches Semester im Château Merrisand absolviert. Als ich später erfuhr, dass jemand zur Betreuung der gesamten Kunstsammlung gesucht wurde, habe ich mich um die Stelle beworben und bin angenommen worden.“
„Einfach so …“, stellte Rowe halblaut fest.
Diesmal begegnete sie seinem Blick direkt, weil sie die unterschwellige Herausforderung in seiner Bemerkung nicht einordnen konnte. Was wollte er nur von ihr?
Kirsten beschloss, in die Offensive zu gehen. „Haben Sie damit ein Problem, Vicomte de Aragon ?“
Wie beabsichtigt führte die Nennung seines Titels dazu, dass sich ihm schlagartig alle Köpfe zuwandten. Neugieriges Gemurmel brandete auf.
Rowes dunkle Brauen, die er angesichts ihrer Ansprache zusammengezogen hatte, bildeten eine harte, schwarze Linie. Sein gesamter Gesichtsausdruck erinnerte an eine Gewitterwolke kurz vor der Entladung.
Kirsten lächelte breit und wandte sich an ihre Gruppe. „Meine Damen und Herren, da wir heute das große Privileg genießen, ein Mitglied der Fürstenfamilie in unserer Mitte begrüßen zu dürfen, bietet sich Ihnen die Gelegenheit, ihm alle Fragen zu stellen, die Ihnen noch am Herzen liegen. Ich bin sicher, er wird sie ebenso kompetent wie gern beantworten. Nicht wahr, Eure Lordschaft ?“
Nun gibt es kein Zurück mehr! dachte Kirsten schadenfroh. Sein sengender Blick, der Eis zum Schmelzen hätte bringen können, prallte wirkungslos an ihr ab. Oder doch nicht so ganz, musste Kirsten sich eingestehen, als sie spürte, dass ihr Blut plötzlich wie glühende Lava durch die Adern floss.
Aber wenn Rowe lieber inkognito geblieben wäre, hätte er sich eben nicht so weit aus dem Fenster lehnen dürfen!
„Liebend gern …“, log er dreist, und Kirsten hätte beinahe applaudiert für dieses Glanzstück an Schauspielkunst, obwohl in den meergrünen Augen eine unmissverständliche Warnung stand: Wir sprechen uns später!
Kirsten schluckte trocken und fragte sich, warum sie so heftig auf seine Provokation reagiert und ihn quasi bloßgestellt hatte. Es geschah durchaus ab und zu, dass Mitglieder der königlichen Familie auftauchten, während sie eine Führung veranstaltete. Und normalerweise respektierte sie deren Privatsphäre, wenn sie nicht eindeutig zu verstehen gaben, dass sie angesprochen werden wollten.
Nach ihrer Ermutigung hatte ihre Gruppe jedenfalls keine Scheu, Rowe für den Rest der Besichtigungstour mit Fragen zu löchern. Zwei junge Mädchen baten ihn sogar um ein Autogramm in ihrem Reiseführer.
Unwillkürlich fragte Kirsten sich, ob sie dabei eher an den Vicomte de Aragon oder an den Rennfahrer und Playboy dachten. Während er sich immer noch den Besuchern widmete, fühlte sich Kirsten zunehmend schlechter, weil sie ihn so unvorbereitet ins Rampenlicht gezerrt hatte. Dass sie ein Problem mit ihm hatte, gab ihr noch lange nicht das Recht dazu, ihn so zu behandeln. Und genau das würde sie ihm, verbunden mit einer Entschuldigung, mitteilen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam.
„Ich bin sicher, Sie alle sind dankbar für die Zeit und Aufmerksamkeit, die der Vicomte de Aragon uns geschenkt hat, aber ich denke, wir dürfen ihn nicht länger für uns beanspruchen. Die Führung ist hiermit offiziell beendet. Einige von Ihnen werden von Ihren Reiseleitern zum Bustransfer am Ostausgang erwartet, deshalb lassen Sie uns dem Vicomte für die interessanten Ausführungen danken …“
Durch die fantastische Akustik im Saal hallte der begeisterte Applaus von den Wänden wider, während Rowe höflich lächelte und eine elegante Verbeugung andeutete.
„Sobald Sie hier fertig sind, möchte ich Sie im Kuratoriumsbüro sehen“, raunte er Kirsten zu,
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