Julia Extra Band 0303
Panikwelle hinweggespült.
Ja, wie sollte sie überhaupt erklären, wer sie war?
Hallo, ich bin Sam. Aber das wird weder Ihnen noch Ihrem Boss etwas sagen, weil der meinen Namen auch nicht kennt. Er weiß vermutlich nicht einmal meine Augenfarbe oder dass ich von Sommersprossen förmlich übersät bin und mein Haar kupferrot ist. Aber angesichts der Umstände halte ich es zu mindest für ein Gebot der Höflichkeit, ihm mitzuteilen, dass ich sein Kind unter dem Herzen trage …
Automatisch wurden Sam wieder einmal ihre unterschiedlichen Lebensumstände bewusst, die kaum krasser sein konnten.
Auf der einen Seite ein millionenschwerer italienischer Geschäftsmann, auf der anderen Seite ein junges Mädchen, das keinen Monat mit ihrem knappen Budget auskam. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem ganzen bisherigen Leben nicht so viel verdient, wie Cesare Brunelli innerhalb von fünf Minuten. Doch zumindest beruflich ging es für Sam momentan steil bergauf.
Vier langweilige Jahre war sie bei der Lokalzeitung einer schottischen Kleinstadt, ihrem Geburtsort, angestellt gewesen und hatte literweise Tee für die gesamte Belegschaft kochen müssen, ehe sie die Sparte „Hochzeiten und Kirchenfeste“ journalistisch betreuen durfte.
Und jetzt war ihre harte Arbeit endlich belohnt worden: Seit Kurzem hatte sie einen Job bei einer bekannten Londoner Tageszeitung. Ein ziemlich untergeordneter Job, aber immerhin!
„Heute bieten sich einem als Frau ganz andere Chancen als in meiner Jugend“, hatte ihr eine etablierte ältere Journalistin wie ein Geheimnis anvertraut. „Und du besitzt Talent, mein Kind.“ Sam war vor Stolz rot angelaufen. „Aber du musst immer mindestens hundert Prozent geben, wenn die Leute dich ernst nehmen sollen, und so ehrenwert Skrupel auch sein mögen, ist es weit besser, sich relativ … flexibel zu zeigen, wenn du verstehst, was ich damit meine …“
Nicht ganz sicher, ob sie wirklich verstehen wollte, hatte Sam langsam genickt und auch noch den letzten Rat der älteren Kollegin aufmerksam entgegengenommen.
„Ach ja … und wenn dir etwas an deiner Karriere liegt, dann mach nicht den Fehler, laut herauszuposaunen, dass du dich nach einer dauerhaften Beziehung oder gar einer eigenen kleinen Familie sehnst. Das wäre beruflicher Selbstmord.“
Und was ist mit einem Baby?
Sam hatte sich noch immer nicht ganz an die bevorstehende, radikale Veränderung in ihrem Leben gewöhnt, wobei es ihr aber nie in den Sinn gekommen wäre, das Baby aus irgendeinem Grund nicht haben zu wollen. Neben Angst und Panik vor dem, was auf sie zukommen würde, fühlte sich alles irgendwie richtig an.
Ein Gefühl, das der werdende Vater möglicherweise nicht mit ihr teilen würde … Doch egal, ob er sich für oder gegen das Baby entschied, er hatte ein Recht darauf, von ihrer Schwangerschaft zu erfahren. Sie selbst wusste auch erst seit zwei Wochen davon. Eine ziemlich kurze Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, bald Mutter zu sein. Irgendwie hatte die ganze Situation etwas Unwirkliches an sich.
Wahrscheinlich wurde es besser, wenn man erst das neue Leben in sich spüren konnte.
Gegen mögliche Schwierigkeiten von Cesare Brunellis Seite war Sam bereits gestählt. Egal, ob ihn vorrangig Ärger, Misstrauen oder Ablehnung bewegen würden, in ihrem Innern hatte sich eine gewisse Gelassenheit ausgebreitet, von der sie bisher nicht wusste, dass sie dazu überhaupt fähig war. Vielleicht war es ja auch nur eine Art Schocksyndrom? Egal, heute würde es ihr in jedem Fall helfen.
Die blonde Rezeptionistin schien den furiosen Abgang der Hollywood-Diva endlich einigermaßen verdaut zu haben, und räusperte sich nun ihrerseits, womit sie Sam aus ihren Tagträumen riss.
„Miss …?
„Ich bin … Samantha Muir und …“
„Achter Stock, erste Tür links.“
Sam runzelte verwirrt die Stirn. „Bitte?“
„Achter … erste links …“ , wiederholte die Blondine akzentuierter, ohne Augenkontakt mit ihr aufzunehmen.
„Achter, erste links?“, echote Sam einigermaßen geschockt, weil sie sich weder ausweisen, noch einen Grund für ihren Besuch angeben musste. Die Frau wollte offensichtlich, dass sie einfach so, ohne Voranmeldung in das Büro des Chefs reinplatzen sollte. Was hielt sie also davon zurück?
Mit einem Anflug von Ungeduld wedelte die Rezeptionistin mit ihren blutrot lackierten Nägeln in Richtung der Fahrstühle und wandte sich dann dem Telefon zu, das in diesem Moment klingelte.
Das ist zu einfach! schoss es
Weitere Kostenlose Bücher