Julia Extra Band 0303
als er an ihr vorbeiging.
Nicht dass es sie besonders überraschte nach ihrem Fauxpas, dennoch fiel es ihr schwer, die Fassung zu wahren, während sie die Teilnehmer der Führung um sich versammelte.
„Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden …“
Nachdem der letzte Besucher das Schloss verlassen hatte, machte sich Kirsten ohne Hast zunächst auf den Weg in ihr kleines Privatbüro. Was hätte sie darum gegeben, dort bleiben zu können und ihre schmerzenden Füße zu massieren. Doch diesen Genuss hatte sie sich leider selbst verbaut.
Rowe war Mitglied des Kuratorium-Vorstandes. Auch wenn er nicht an den regelmäßigen Sitzungen teilnahm, war er doch so etwas wie ihr Boss. Kirsten wusste, dass ihr Verhalten Kritik verdiente. Denn ihr persönliches Problem mit dem Vicomte de Aragon konnte ihr unprofessionelles Benehmen keineswegs rechtfertigen. Wenn sie doch nur den unangenehmen Auftritt bereits hinter sich hätte!
Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, an dem sie das erste Mal von Romain Sevrin gehört hatte …
Damals hatte sie gerade ihr praktisches Semester im Schloss angetreten und musste sich zudem auch noch um ihre jüngere Schwester kümmern. Beides war schwer zu vereinbaren gewesen und funktionierte nicht besonders gut. Doch wie sehr sie versagt hatte, erkannte Kirsten erst, als Natalie ihr eines Tages eröffnete, sie sei schwanger.
Kirsten wusste zwar, dass Nat sich öfter auf dem Autorennkurs bei den Angel Falls herumtrieb, wo sogar internationale Grand-Prix-Rennen stattfanden, doch sie hatte ihr plötzliches Interesse für den Rennsport als eine mädchenhafte Schwärmerei für heiße Typen in schnellen Autos abgetan.
Leider!
Seit dem Unfalltod der Eltern, als Kirsten gerade mal zwanzig war, hielt Nat ihr immer wieder vor, sie sei viel zu streng mit ihr. Außerdem ließ sie nie durchblicken, dass zu einem der Rennfahrer eine engere Beziehung bestand, und Kirsten war der Meinung, je weniger Widerstand sie dem launischen Teenager entgegenhielt, desto schneller würde der Spleen vorübergehen.
Sich nachträglich Vorwürfe zu machen, die Zügel nicht strenger angezogen zu haben, brachte dann auch nichts mehr.
Was allerdings ein weltgewandter Mann wie Rowe Sevrin, dazu noch Mitglied einer königlichen Familie, in einem blutjungen Mädchen wie Natalie gesehen hatte, war ihr ein Rätsel. Erst als sie versuchte, ihre Nat nicht mit schwesterlichem Blick, sondern ganz objektiv zu betrachten, bekam sie eine Ahnung davon.
Der frühe Tod der Eltern hatte sie beide schneller erwachsen werden lassen.
Die bereits gefestigtere Kirsten schlüpfte zwangsläufig in die Mutterrolle, während sich Natalie wie ein hübsches Füllen aufführte, das vor der Zeit auf die Weide gelassen wurde, und vor Unsicherheit und Übermut die verrücktesten Kapriolen veranstaltete. Viel zu früh kleidete, sprach und benahm sie sich wie ihre weit älteren Geschlechtsgenossinnen. Dazu setzte sie die unschuldige Koketterie und den mädchenhaften Charme ihres wahren Alters ein. Eine gefährliche Mischung, von der sich Männer leicht den Kopf verdrehen ließen.
Sogar Rowe Sevrin?
Natalie blieb eisern bei ihrer Version der Geschichte, und Kirsten sah keinen Anlass, ihr nicht zu glauben. Daher rührte ihre Verachtung und Wut auf den Vicomte und seine Rolle in dieser unglücklichen Affäre. Obwohl er damals selbst kaum älter als zweiundzwanzig gewesen sein konnte, hätte er sich auf jeden Fall erwachsener und verantwortungsvoller zeigen müssen. Denn trotz der gerade erreichten Volljährigkeit und ihrem erwachsenen Aussehen war Natalie nicht mehr als ein verletzlicher Teenager gewesen, der die Trauer um die Eltern noch nicht wirklich verarbeitet hatte.
Als Kirsten vorschlug, den Vicomte anzurufen und ihn von der Lage der Dinge zu unterrichten, führte ihre jüngere Schwester einen Tanz auf, der ihrer Unreife alle Ehre machte.
„Die meisten Frauen würden sich darum reißen, mit einem Mitglied der königlichen Familie liiert zu sein“, hatte Kirsten verwundert angeführt.
Doch Natalies Antwort kam völlig unerwartet und haute sie förmlich um. „Die meisten Frauen hätten ihm ja auch kein falsches Alter und einen falschen Namen genannt und dann noch behauptet, sie würden die Pille nehmen.“
Nur mit übermenschlicher Selbstbeherrschung und psychologischem Geschick war es Kirsten gelungen, ihrer Schwester den Rest der Geschichte zu entlocken. Wie es aussah, hatte Natalie versucht, sich unter falschem Namen den Zugang zur
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