Julia Extra Band 0309
steilen Pfad nicht zu stolpern. Das hinderte sie daran, über die Situation nachzudenken, in die sie da geraten war.
Schweigend stiegen sie weiter bergan. Der Weg war eigentlich nicht allzu steil, aber als sie endlich auf der Kuppe angekommen waren, hatte Kerry das Gefühl, den Mount Everest erklommen zu haben. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Knie zitterten. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich auf einen Felsbrocken sinken. Die Aussicht war fantastisch. Der Nebel über dem Wasser hatte sich aufgelöst, und man konnte sogar die Nachbarinsel sehen.
„Wenn du dich ausgeruht hast, gehen wir zurück“, verkündete Theo, ohne Kerry anzublicken.
„Was? Wir sind doch gerade erst angekommen. Willst du nicht erst einmal eine Weile die Aussicht genießen?“
„Ich habe schon alles gesehen, was mich interessiert. Jetzt will ich zurück. Ich möchte in der Nähe sein, wenn Drakon sich wieder in der Lage fühlt, die Geschäftsverhandlungen aufzunehmen.“
„Er ist krank! Kannst du ihn nicht einfach in Ruhe lassen?“
„Darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Es geht ums Geschäft. Drakon sucht einen Käufer für seine Insel – und ich will sie um jeden Preis haben. Also – können wir?“
Missmutig sah Kerry ihn an. Sie ärgerte sich maßlos über Theos Verhalten. Warum hat er mich dann überhaupt diesen Berg hochgejagt, wenn ihn der Blick so wenig interessiert, dachte sie verstimmt. Und offensichtlich interessiert er sich auch nicht im Geringsten dafür, wie es mir geht.
Sie erinnerte sich an das Gespräch vom Vortag. Er ging immer nur um ihn … um seine Bedürfnisse. Warum hatte er wohl sonst keine Rücksicht darauf genommen, dass sie reisekrank wurde, obwohl er das anscheinend die ganze Zeit gewusst hatte.
„Wieso hast du nie etwas gesagt, wenn dir doch klar war, dass mir beim Fliegen schlecht wird?“
Wenn Theo der plötzliche Themenwechsel erstaunte, so ließ er sich das zumindest nicht anmerken.
„Ich dachte, es wäre dir nicht recht“, erwiderte er. „Ich hatte den Eindruck, du wolltest die Sache lieber übergehen.“
Kerry öffnete den Mund zu einer Antwort, hielt dann aber inne. Irgendwie hatte er recht. Es half ihr weitaus mehr, sich abzulenken, als das Ganze auch noch zu thematisieren. Aber das entschuldigt noch lange nicht, dass er nie auch nur einen Funken Empathie gezeigt hat.
„Woran hast du eigentlich gemerkt, dass es mir nicht gut ging?“, fragte sie herausfordernd.
„Das war ja wohl offensichtlich, so wie du ausgesehen hast … blass und zittrig, als wenn dich ein Lufthauch umwehen könnte. Davon abgesehen hast du dich ja immer schnell wieder erholt, sobald du festen Boden unter den Füßen hattest.“
„Und wieso hast du dann immer darauf bestanden, dass ich dich begleite?“
„Ich nahm einfach an, dass du dem Ganzen keinen so hohen Stellenwert einräumst. Du hast noch nie gern eine Schwäche zugegeben. Wie eben, zum Beispiel. Es war mehr als deutlich, dass der Aufstieg dich eigentlich überfordert hat. Aber du würdest dir eher die Zunge abbeißen, als etwas zu sagen.“
„Er hat mich überhaupt nicht überfordert“, protestierte Kerry vehement und sprang auf, um es ihm zu beweisen.
Einen Moment dachte sie, ihre Beine würden unter ihr nachgeben, und mit einem Schritt war Theo bei ihr und stützte sie.
„Deine Beine zittern ja immer noch“, sagte er besorgt. Aber noch etwas anderes schwang in seiner Stimme mit. Besorgnis … und … Kerry konnte es nicht recht deuten, aber es trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei.
„Wenn es nicht der Anstieg war … liegt es dann vielleicht an mir?“ Er hielt sie fester. „Wenn ich es recht bedenke, fallen mir da doch so einige Situationen ein …“
„Lass mich sofort los. Ich will nicht, dass du mich auch nur noch ein einziges Mal anfasst.“ Plötzlich fiel es ihr schwer, ruhig und tief zu atmen.
„Ach ja? Bist du dir sicher, dass du das wirklich ehrlich meinst?“ Abrupt ließ Theo sie los. „Apropos Ehrlichkeit, damit scheinst du es ja sowieso nicht allzu genau zu nehmen.“
„Ich habe dich nie angelogen“, verteidigte Kerry sich.
„Direkt angelogen … vielleicht nicht. Aber ich betrachte es auch als unehrlich, wenn man etwas verschweigt . Schließlich hast du nie etwas über deine Reisekrankheit gesagt.“
„Das dürfte ja wohl eher etwas über unsere Beziehung aussagen, oder?“
„Wenn wir schon beim Thema Beziehung sind – unsere ist ja wohl an etwas ganz anderem gescheitert“, gab
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