Julia Extra Band 0315
Geschirr ein. Im Laufe des Tages waren es immer mehr Teller und Gläser geworden, während ihrer Abwesenheit hatte sich die Menge auf dem Couchtisch im Wohnzimmer des alten Hauses vervielfacht. Paul und Jackie rührten sich nicht. Paul hatte die Füße auf den verschrammten Tisch gelegt, Jackie hatte es sich neben ihrem Verlobten gemütlich gemacht. Auf dem Großbildschirmfernseher – ein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk von Susannah und den Brautjungfern – lief ein Krimi.
„Das letzte Mal, als ich dir vertraut habe, hast du das Herz meiner Schwester gestohlen.“
Lachend legte Paul den Arm um Jackie und zog sie an sich. Das Ledersofa quietschte unter seinem Gewicht. „Stell dir einfach vor, dass du einen Bruder gewonnen hast.“
Jackie schmiegte sich an den braunhaarigen Mann, mit dem sie seit fast drei Jahren zusammen war, und küsste ihn auf die Wange. „Einen sehr gut aussehenden Bruder.“
„Der Weihnachtsmann hat mich wohl nicht gehört, als ich gesagt habe, ich wünsche mir ein Pony.“ Lächelnd trug Susannah das Geschirr in die Küche, stellte es in die Spüle und ließ heißes Wasser einlaufen, dann gab sie Spülmittel dazu und begann abzuwaschen.
An dieser Spüle stand sie schon, seit sie alt genug gewesen war, auf den kleinen Holzhocker zu klettern und in das Edelstahlbecken zu langen. Während sie abwusch, sah sie aus dem Fenster in den Garten hinaus. Früher hatte ihre Mutter neben Susannah gestanden und das Geschirr abgetrocknet. Im Hintergrund hatte das Radio gespielt, und die sonnige, gelb gestrichene Küche war so heiter und fröhlich gewesen wie die Stimme ihrer Mutter.
Doch diese Zeiten waren vorbei. Das Radio war bereits vor Jahren kaputtgegangen, die gelbe Farbe inzwischen verblasst und Abwaschen eine unangenehme Aufgabe geworden.
„Du musst das nicht tun.“ Jackie kam herein, lehnte sich an den Kühlschrank und feilte sich die Fingernägel.
„Wenn man es stehen lässt …“
„Wird es nicht zerbrechen“, unterbrach Jackie sie. „Mach den Abwasch später. Oder noch besser, überhaupt nicht.“
Er würde nie gemacht werden, wenn Susannah ihn nicht erledigte. Weder Jackie noch Paul hatten viel Sinn für Hausarbeit, trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen. Sie hatten einen Kredit aufgenommen, um das Haus instand zu setzen, und Susannah wohnte für eine sehr niedrige Miete bei den beiden, die ihnen half, die Hypothek abzuzahlen. Als Gegenleistung hatte sich Susannah bereit erklärt, den größten Teil der Hausarbeit zu übernehmen.
Tatsächlich war es so gekommen, dass sie sich schließlich um alles allein kümmerte. Aber an den meisten Tagen war ihr das sehr recht. Sie sparte Geld für ihr höchstes Ziel. Freiheit.
Eine Woche. Nur noch eine Woche, dann würde sie hier raus sein. Raus aus diesem Haus. Raus aus dieser Stadt. Auf dem Weg in das Leben, von dem sie schon so lange träumte, dass es Susannah vorkam, als wäre sie mit dem Traum geboren worden. Ihr Blick glitt zu dem Buntglaseiffelturm, der im Küchenfenster hing. Goldene und orangefarbene Lichtschimmer tanzten auf den Arbeitsflächen, als die Strahlen der Nachmittagssonne in den winzigen Glasscherben reflektierten.
Ihre Mutter hatte ihr die kleine Nachbildung des berühmtesten Wahrzeichens von Paris an jenem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt. „Ich bin nie dort gewesen“, hatte sie gesagt, „aber ich hoffe, dass du eines Tages hinfahren kannst, Susannah. Dir die Welt ansehen kannst. Ich habe es nie geschafft.“
Susannah würde es tun. Ganz gleich, was es sie kostete.
„Ich spüle nur eben die paar Teile ab, bevor ich zur Arbeit gehe.“
„Du bist gerade erst nach Hause gekommen. Ich dachte, du bist für heute fertig.“
„Vorhin hatte ich noch drei späte Anmeldungen. Jede davon bringt Geld.“
Jackie betrachtete prüfend alle zehn Finger, hielt sie für perfekt und steckte die Nagelfeile in die Hosentasche. „Du arbeitest zu viel.“
„Alles für das höchste Ziel, Schwesterherz.“
„Womit du taktvoll sagst, dass du es hasst, bei uns zu wohnen.“ Jackie lachte zum Zeichen, dass sie nicht beleidigt war. „Oh, würdest du mir bitte einen Gefallen tun und den Tischschmuck abholen? Ich habe heute Abend Anprobe und danach ist die …“
„Party.“
Die Junggesellinnenabschiedsparty, die Susannah als erste Brautjungfer organisiert hatte – an der sie jedoch nicht teilnahm. Sie hatte Jackies Freundinnen nie richtig gut kennengelernt und keine Lust, den Abend mit den anderen Brautjungfern
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