Julia Extra Band 0316
Coreen sich natürlich nicht vorstellen.
Paul war nie nach Coreens Geschmack gewesen, aber Alice hatte ihn wunderbar gefunden. Sicher, er interessierte sich ein bisschen zu sehr für seine Computerspiele und zu wenig für romantische Gesten, aber sie hatte ihn wirklich gerngehabt.
Alice hatte sogar gedacht, sie wäre kurz davor, sich in ihn zu verlieben. Wie dumm von ihr! Die ganze Zeit über hatte er sich nämlich nach seiner Exfreundin gesehnt und sich schließlich wieder mit ihr versöhnt.
Daraufhin saß Alice zu Hause, aß Schokolade und fühlte sich schrecklich. Ihr war ja klar, dass bei ihrem Anblick kein Mann jemals bremsen würde, wenn sie die Straße entlangging – Coreen hingegen geschah so etwas öfter. Alice war vom Schicksal eben kein Märchenprinz bestimmt.
Aber vielleicht fand sie ja irgendwann einen netten, durchschnittlichen Mann, mit dem sie ihr Leben teilen und eine Familie gründen konnte. Einen normalen, gewöhnlichen Partner fürs ganze Leben.
Doch wie sollte sie das der quirligen Coreen erklären, die von den Männern in ihrem Leben nicht nur erwartete, sondern geradezu verlangte, angebetet zu werden?
Trotzdem, ein Fußabstreifer war sie, Alice Morton, nicht! Sie konnte zwar nicht mit üppigen Kurven punkten, aber Charakter zählte doch auch, oder etwa nicht?
Natürlich fiel das jungen Männern nicht gleich so ins Auge, vor allem, wenn ein Mädchen auch noch schüchtern war, aber … wenn die anspruchsvollen jungen Frauen mit den offensichtlichen Vorzügen ein bisschen zu anstrengend wurden, dann war Alice da, die geduldig zuhörte, tröstete, und alles in allem einfach ein gute Kameradin war, mit der es sich aushalten ließ.
Und mit der man aus diesem Grund ausging, und vielleicht mehr …
Alle ihre Freunde hatten ihre ruhige, geradlinige Art gelobt. „Es ist so einfach, mit dir zusammen zu sein“, hatte mehr als einer gemeint, erschöpft von den Forderungen seiner wirklich Angebeteten, die er zurückgelassen hatte.
Loyalität, Aufrichtigkeit und Hilfsbereitschaft, das waren die Eigenschaften, die auf lange Sicht zählten – und die besaß Alice im Übermaß.
Trotzdem hatte Paul diese Qualitäten nicht so zu schätzen gewusst, dass er bei ihr blieb! Vielleicht war er einfach noch nicht der Richtige gewesen.
„Übrigens, wenn ich hier träume und trödele, dann wegen dieser herrlichen Kleider“, kam Alice auf Coreens ursprünglichen Vorwurf zurück.
„Aber verlieb dich bloß nicht in sie“, warnte Coreen. „Die stehen alle zum Verkauf, wie du weißt.“
„Ein bisschen flirten wird doch erlaubt sein“, meinte Alice scherzhaft.
„Schon, aber nicht zu viel. Denk immer ans Geschäft.“
„Das tue ich. Vor allem denke ich an die Zeit, wenn wir endlich genug Geld für einen richtigen Laden zusammenhaben. Bis dahin liebäugele ich nur mit der Mode und bleibe meinem ‚richtigen‘ Beruf treu. Das ist für uns beide nur von Vorteil.“
Alice verdiente recht gut mit ihrer kleinen Beratungsfirma für Computerprobleme, auch deshalb, weil sie keine Angestellten hatte, sondern alles allein machte. Sie konnte sich ihre Zeit einteilen, also war es ihr oft genug möglich, Coreen beim Verkauf der Vintagemode auf den diversen Märkten zu helfen.
Den Traum vom eigenen Laden würden sie bestimmt bald verwirklichen, denn ihr ganzes Geld, das sie erübrigen konnten, wanderte in den Starterfond. Bis es so weit war, mussten sie eben weiterhin der Kälte und Zugluft auf den Märkten trotzen.
Am Vortag war Coreen bei einer Auktion auf dem Land gewesen, auf welcher der Nachlass einer reichen alten Dame versteigert wurde, darunter beinah deren gesamte Garderobe. Und die war vom Feinsten: Modelle der exklusivsten europäischen Modeschöpfer aus mehreren Jahrzehnten. Ja, der Kleiderschrank hatte sich als wahre Schatztruhe erwiesen.
Alice hob ein Abendcape aus schimmerndem blauem Taft aus der Kiste und entdeckte darunter die perfekten Schuhe. Da sie inzwischen einiges über Modegeschichte wusste, konnte sie das Paar sofort datieren: Es stammte aus den frühen Fünfzigerjahren.
Hingerissen betrachtete sie den Fund. Es handelte sich um elegante Abendsandaletten aus weichem schwarzem Wildleder, die offensichtlich kaum getragen worden waren. Einzige Verzierung war eine mit Strass besetzte Schnalle an jedem Schuh, ansonsten waren sie ganz schlicht. Aber was sie so besonders machte, waren die Absätze. Diese bestanden aus einem durchsichtigen Material, einem Kunststoff, der hart und klar wie
Weitere Kostenlose Bücher