Julia Extra Band 0318
war ein Thema, das Eduardo jetzt nicht vertiefen würde. Dazu war er einfach zu erschöpft, und wie es aussah, konnte auch Marianne sich kaum noch auf den Beinen halten.
„Gehen Sie schlafen“, befahl er ihr sanft. „Es war ein langer Tag.“
„Und was ist mit Ihnen?“ Zögernd kam sie auf ihn zu, so schön und anmutig, dass ihr Anblick ihn beinah körperlich schmerzte. „Sie brauchen Ihren Schlaf noch dringender. Soll ich Ihnen nicht doch ein heißes Getränk oder einen Brandy bringen?“
Ihre Nähe und Wärme waren das Einzige, was Eduardo in diesem Moment dringend gebraucht hätte. Er spürte den überwältigenden Drang, die Hand nach ihr auszustrecken und sie in seine Arme zu ziehen. Aber sein Stolz und die Überzeugung, weder Trost noch Glück zu verdienen, verboten es ihm. Stattdessen zog er sich wieder hinter die vertrauten Mauern seiner inneren Festung zurück.
„Ich habe schon wesentlich schlimmere Nächte ohne heiße Getränke oder Brandy überstanden“, versicherte er ihr mit einem grimmigen Lächeln. „Also tun Sie, was ich sage, und gehen Sie ins Bett.“
Sie zögerte noch immer. „Sind Sie sicher, dass ich nichts mehr für Sie tun kann?“
Statt zu antworten wandte Eduardo demonstrativ den Blick von ihr ab und starrte so lange auf seine sorgfältig bandagierte Hand, bis sie begriff, dass ihre Anwesenheit nicht länger erwünscht war.
Am nächsten Tag versuchte Marianne, ihre Arbeit möglichst geräuschlos zu erledigen. Aus lauter Sorge, sie könnte Eduardo womöglich stören, schlich sie buchstäblich auf Zehenspitzen durchs Haus und gestattete es sich nicht einmal, in der Küche das Radio anzustellen.
Während sie das Gemüse für einen weiteren herzhaften Eintopf vorbereitete, zog die verlockende Landschaft hinter dem breiten Fenster immer wieder ihren Blick an. Wie es aussah, hatte der sibirische Winter nun endlich beschlossen, sich zu verabschieden. Die dicke Schneedecke taute bereits an einigen Stellen, und von der Dachrinne ertönte das stete Tropfen schmelzender Eiszapfen.
Als sie den Porree klein geschnitten hatte und sich die Karotten vornahm, überlegte Marianne, ob Eduardo sie wohl noch einmal zu einem Spaziergang einladen würde. Sie hoffte es sehr und wünschte sich, dass sie dann ein bisschen weiter kämen als bis zu der kleinen Holzbrücke.
Was mag ihm nur auf der Seele liegen, dass er sich nicht einmal die einfachsten Freuden des Lebens gönnt?
Zweifellos war es für einen noch relativ jungen Mann wie ihn deprimierend, dermaßen in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein, aber Marianne spürte, dass ihn noch etwas anderes belastete. Der Ausdruck tiefer Hoffnungslosigkeit, den sie gelegentlich in seinen Augen entdeckte, das Fehlen jeglicher persönlicher Erinnerungsstücke in diesem Haus, sein extremes Bedürfnis nach Zurückgezogenheit – all das überzeugte sie immer mehr davon, dass er etwas Schreckliches erlebt hatte. So schrecklich, dass nicht einmal sein Diener Ricardo darüber sprach.
Natürlich wusste sie, dass sie sich besser aus dieser Sache heraushalten sollte. Eduardo hatte ihr mehrfach deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts für ihn tun könne und er ihre Hilfsangebote nur als Belästigung empfand. Doch anstatt gekränkt zu sein und ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen, wuchs ihr Wunsch, ihm beizustehen und ihm das Leben erträglicher zu machen, jeden Tag mehr. Sie hätte sich leicht einreden können, dass sie ausschließlich Mitgefühl für ihn empfand. Doch sich selbst zu belügen war noch nie ihre Art gewesen. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Marianne sich auf unerklärliche Weise zu Eduardo hingezogen gefühlt. Inzwischen musste sie sich eingestehen, dass er Empfindungen in ihr auslöste wie noch kein Mann zuvor.
Letzte Nacht zum Beispiel, als sie seine Hand verbunden hatte … Niemals hätte sie gedacht, dass schon die bloße Nähe eines Mannes genügen konnte, um ihren ganzen Körper in Flammen zu setzen. Es war, als hätten all ihre Sinne in einem tiefen Schlaf gelegen und nur darauf gewartet, dass er erschien, um sie mit einem Schlag zum Leben zu erwecken.
In Donals Gegenwart hatte sie nie ein so wildes, beinahe schmerzhaftes Begehren gespürt. Aber seine Krankheit hätte es ohnehin unmöglich gemacht, ein solches Verlangen auszuleben. Nach seinem Tod hatte sie das sogar erleichtert, denn mit der Zeit hatte Marianne erkannt, dass ihre Liebe zu Donal – so innig sie auch gewesen sein mochte – rein
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