Julia Extra Band 0319
Das Leben seines geliebten Großvaters hing an einem seidenen Faden.
Am schmerzlichsten war für Spiros die Angst, er könnte nicht stark genug sein.
Er hatte Phoebe gebeten … sie angefleht … den Kuss zu vergessen. Doch er selbst konnte es nicht. Würde es niemals können. Nie würde er vergessen können, wie sie schmeckte. Nie die Leidenschaft, die unter ihrer Unschuld aufgeflammt war.
Er hätte diese Leidenschaft nie vor seinem Bruder kosten dürfen. Er hätte sie überhaupt nicht kosten dürfen.
Er war schließlich nicht wie seine Mutter. Er hatte Prinzipien. Er ließ sich nicht von seinem sexuellen Verlangen treiben.
Und er war auch nicht wie sein Vater, der seine Ehre für die Liebe zu einer Frau aufs Spiel setzte.
Seine selbstzerstörerische Liebe hatte Timothy Petronides letztendlich das Leben gekostet. Schon als kleiner Junge hatte Spiros sich geschworen, dass ihm so etwas nie passieren würde. Seine Zuneigung zu Phoebe war etwas ganz anderes. Phoebe hatte immer nur die besten Seiten in ihm zum Vorschein gebracht. Durch sie war er ein besserer Mann, ein besserer Mensch gewesen. Bis jetzt.
Dass er ihr aus dem Weg ging, war nur ein Zeichen jener Schwäche, gegen die er seit jeher ankämpfte.
Spiros drückte die Schultern durch und bat seine Sekretärin, Phoebe hereinzuschicken.
Ein paar Sekunden später flog die Tür auf und eine völlig aufgelöste Phoebe stand vor ihm. Von seiner Sekretärin keine Spur.
„Wo ist Ismene?“
Phoebe schien die Frage zunächst zu irritieren. Dann zuckte sie die schmalen Schultern. „Ich kenne doch den Weg.“
Er wartete, dass Phoebe ihm verriet, warum sie hier war. Von widersprüchlichen Gefühlen geplagt, ballte er die Hände zu Fäusten.
„Geht es dir gut, Spiros?“
„Ja, natürlich. Aber dem dramatischen Auftritt nach scheint es dir nicht gut zu gehen.“
„Ja, das stimmt … das stimmt. Nur … das passt gar nicht zu dir.“
„Was genau meinst du?“ Als wüsste er das nicht.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt inne, und begann erneut: „Du kennst mich so gut.“ Sie verstummte und begann händeringend, auf und ab zu gehen. „Ich glaube, besser als jeder andere. Sogar als meine Eltern.“
„Das ist möglich.“ Vor dem Kuss hätte er ihr versichert, dass sie recht hatte, doch jetzt musste er auf Abstand gehen und ihre gegenseitige tiefe Verbundenheit abstreiten.
Das schuldete er Dimitri. Er schuldete es seinem Großvater, dem einzigen Menschen, auf den er sich immer hatte verlassen können. Er schuldete es sich selbst.
Phoebe blieb stehen und starrte ihn wieder ungläubig an.
„Da … du tust es schon wieder.“
„Wie wäre es, wenn du mir endlich den Grund für deinen Besuch verrätst“, tat er ahnungslos und verkniff sich erneut die Frage, was sie meinte.
„Nein … nicht, solange dich irgendetwas bedrückt.“ Sie blickte sich gedankenverloren um und wirkte dabei so verstört, dass er sie am liebsten in den Arm genommen und getröstet hätte. Doch er war schlau genug, dieser Versuchung zu widerstehen. Sie schien die immer noch offen stehende Tür zu bemerken und ging darauf zu. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Vielleicht quälen uns dieselben Sorgen.“
„Vielleicht.“ Phoebe war ein zuverlässiger und absolut vertrauenswürdiger Mensch. Sie wollte Dimitri und ihre beiden Familien sicher genauso wenig hintergehen wie er selbst.
„Ich … es ist nur … Normalerweise bemerkst du, wenn mich etwas bedrückt.“
„Ja.“
„Aber das hier ist nicht normal.“
Wieder verkniff er sich zu fragen, was sie meinte. Er wusste es. Sie wusste es. Dass er sie nicht fragte, was los war. Dass er auf Abstand ging. Doch er konnte nicht anders. Sonst würde es nur wieder zu Vertraulichkeiten kommen, Vertraulichkeiten, die sie sich nicht länger leisten konnten.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe, und er zählte vier Sekunden. Es fiel ihm schwer, die Kontrolle über seine Gefühle zu behalten. Bei der Erinnerung an den köstlichen Geschmack ihrer Lippen musste er sich beherrschen, auf seiner Seite des Schreibtisches zu bleiben.
„Weißt du, normalerweise … wenn ich sonst zu dir komme, und mich bedrückt etwas, bemerkst du es. Und dann … na ja, dann … fragst du mich, was los ist und was du tun kannst. Das machst du sonst immer. Aber heute nicht. Dabei brauche ich dich heute dringender denn je.“ Der letzte Satz war nur noch ein Flüstern.
Wieder musste er sich zwingen, sie nicht in den Arm zu nehmen. Es war nicht
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