Julia Extra Band 0319
was?“, fragte er, doch er ließ ihr keine Zeit zu antworten. Wenn sie es aussprach, waren sie beide verloren. „Liebe? Das glaube ich kaum. Du bist für mich wie eine kleine Schwester.“
Das war die Wahrheit … Aber nicht die ganze Wahrheit. Er war nicht ihr Bruder. Er war ihr Freund. Ihr bester Freund. Und als solcher musste er danach handeln, was das Beste für sie war … Was das Beste für sie alle war.
„Der Kuss hat dir also nichts bedeutet?“
„Ich habe ihn längst vergessen.“ Wieder eine verdammte Lüge. Dieser Kuss hatte seine Welt erschüttert.
Waren diese Lügen notwenig? War das Ganze überhaupt notwendig? In diesem Moment fiel ihm die aschfahle Haut seines Großvaters wieder ein. Er dachte an Dimitris Entschluss, Phoebe zu heiraten. Es ging um Leben und Tod, und Gefühle waren in dieser Situation nebensächlich. Das musste er sich immer wieder sagen.
Doch es fiel ihm schwer.
„Wie kannst du diesen Kuss vergessen? Es war, als würden unsere Seelen miteinander verschmelzen. Das musst du doch auch gespürt haben“, schluchzte Phoebe.
Er hatte es gespürt. Doch das war etwas, was er niemals eingestehen würde – nicht einmal sich selbst. „Du bist noch Jungfrau … Es fehlt dir einfach an Erfahrung. Aber du musst mir vertrauen, wenn ich dir sage, dass es nur ein Kuss wie jeder andere war. Ich weiß, wovon ich rede. Schließlich habe ich viele Frauen geküsst und keiner von ihnen deshalb gleich einen Heiratsantrag gemacht.“
„Dimitri hat mir auch nie einen Heiratsantrag gemacht“, beklagte sie sich, als sei das der eigentliche Grund für ihre Weigerung, ihn zu heiraten.
„Ich bin sicher, das wird er noch, aber bisher hat Großvater an seiner Stelle gehandelt.“ Jedenfalls nahm Spiros das an. Es war vielleicht ein wenig altmodisch, aber vollkommen legitim.
Doch konnte er gut verstehen, dass Phoebe dieses Verhalten als Gefühlskälte deutete. Er musste bei nächster Gelegenheit mit seinem Bruder sprechen. Und wenn er, Spiros, bei dem Gedanken, Dimitri Ratschläge zu erteilen, wie er Phoebe behandeln sollte, vor Wut fast rot sah, war das ganz allein sein Problem.
„Das ist doch unmenschlich.“
„Ich finde, du übertreibst.“
„Ich bin Dimitri völlig egal.“
„Unsinn. Immerhin will er dich heiraten.“
„Er hat mich noch nie geküsst. Und er passt nicht auf mich auf. Du schon. Und dein Kuss … Es war mehr, als du zugeben willst. Du kannst es noch so sehr abstreiten, aber ich erinnere mich genau, und es war keinesfalls ein brüderlicher Kuss!“
„Es war ein einmaliger Ausrutscher. Es wird nie wieder passieren, und da du meinen Bruder heiraten wirst, wäre ich sehr froh, wenn du es auch nie wieder erwähnen würdest.“ Noch während er sprach, fragte Spiros sich, ob er das Richtige tat.
Phoebe verdiente etwas Besseres als das Verhalten, das Dimitri ihr gegenüber bisher an den Tag gelegt hatte. Vielleicht sollte er mit seinem älteren Bruder und seinem Großvater reden … Oder würde ein solches Gespräch den befürchteten Herzinfarkt auslösen? Was ging vor – die Gesundheit seines Großvaters und die Familienehre oder Phoebes Gefühle?
Natürlich hatte die Familie Vorrang. Doch seine Entschlossenheit geriet unter ihrem verletzten Blick ins Wanken. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, doch Phoebe wich bereits zur Tür zurück.
„Du willst wirklich, dass ich Dimitri heirate, nicht wahr?“
Er konnte nicht antworten. Das Chaos seiner widersprüchlichen Gedanken und Empfindungen lähmte ihn. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit erinnerte ihn an die Zeit, als seine Eltern noch lebten …
„Niemand außer mir scheint sich um mein Glück zu scheren“, flüsterte sie, während sie schon die Tür öffnete. Und dann war sie verschwunden.
Spiros stand wie angewurzelt da und begriff erst langsam, was sie gesagt hatte. Wann je hatte er sich nicht um ihr Glück geschert?
Wollte sie damit sagen, dass sie mit Dimitri unglücklich wäre? Natürlich. Hatte sie das nicht schon vorher angedeutet? Doch das wäre sie bestimmt nicht. Dimitri würde sie gut behandeln. Dimitri war ein guter Mensch.
Doch er ist nicht du, widersprach die lästige Stimme in seinem Kopf.
Das stimmte. Aber Phoebe hatte wahrscheinlich einfach Angst. Warum hatte er das nicht erkannt? Sie war verletzt und ängstlich, und er war so damit beschäftig gewesen, die Familienehre zu retten, dass er sie mit ihren Sorgen allein gelassen hatte.
Er war nicht für sie da gewesen wie sonst. Weil auch er Angst
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