Julia Extra Band 0319
werde vielleicht als Hebamme in der Klinik von Zaraq arbeiten, und einer seiner Grundsätze war, peinliche Verwicklungen am Arbeitsplatz unbedingt zu vermeiden. Deshalb hatte er sich entschieden, Mandy anzurufen und sich mit ihr zu verabreden. Zugegeben, ihre Augen waren nicht ganz so blau und ihr Haar nicht naturblond, aber er verfügte über ein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen. Vorausgesetzt, Mandy würde es schaffen, eine halbe Stunde lang den Mund zu halten, erwartete ihn ein vergnüglicher Abend!
Doch als er noch einmal kurz ins Hotel zurückgekehrt war, hatte er sie gesehen. Und er musste zugeben, dass das Original wesentlich reizvoller war als die Kopie. Ihre Blicke trafen sich, und Karim lächelte sie an und ging direkt auf sie zu. Warum, fragte er sich, sollte er sich mit der Kopie zufriedengeben?
Es hatte aufgehört zu regnen, als Felicity aus dem Portal des Hotels trat, doch schwere graue Wolken kündigten den nächsten Schauer an. Alles war dunkel und unwirtlich.
Dann sah sie ihn.
In seinem langen dunklen Mantel hätte er zwischen all den anderen Menschen, die geschäftig durch die Straßen eilten, eigentlich gar nicht auffallen dürfen. Doch ihr erschien er wie ein schimmerndes Licht an diesem grauen, düsteren Tag.
Und er kam direkt auf sie zu.
Sie musste nur die Straße überqueren, sich links halten und die Treppe zur U-Bahn hinuntergehen – und plötzlich wusste Felicity, dass dieser Moment über ihr weiteres Leben entscheiden würde. Sie konnte sich umdrehen und gehen. Oder sie konnte bleiben, sein Lächeln erwidern und warten, bis er sie erreicht hatte.
Es war vollkommen unwirklich, hier zu stehen und zuzusehen, wie es zu regnen begann und alle Menschen um sie herum ins Trockene hasteten oder ihren Schirm aufspannten, während er sich ihr näherte, ohne den Schritt zu beschleunigen. Sie sah die Entschlossenheit in seinen Augen, und mit einem schmerzhaften Bedauern wusste sie plötzlich, dass es sinnlos war. Selbst wenn er jetzt ein Gespräch mit ihr anfinge, sie vielleicht sogar zum Essen einlud und sich herausstellte, dass er ebenso brillant erzählen konnte, wie er aussah, würde es auf eine Enttäuschung hinauslaufen.
Vergiss es, sagte sich Felicity, wandte sich um und steuerte auf die U-Bahn zu.
Fest entschlossen drückte sie den Knopf der Fußgängerampel, das Licht sprang auf Grün, sie konnte gehen. Und doch wünschte sie so sehr, seine Hand zu spüren, die sie zurückhielte. Was war nur los mit ihr? Sie hatte nicht einmal ein Wort mit diesem Mann gewechselt.
Gerade als sie den ersten Schritt auf die Straße machen wollte, kam ein Wagen um die Kurve gerast und übersah die rote Ampel. Geistesgegenwärtig sprang Felicity zurück und konnte sogar noch eine alte Dame mit auf den Gehweg ziehen. Wie in Zeitlupe nahm sie das Geschehen wahr: Die junge Fahrerin in dem Sportwagen, die plötzliche Erschütterung, das Geräusch von quietschendem Metall, das über die Fahrbahn schlitterte. Für einen kurzen Moment war es ganz ruhig, doch dann durchbrach ein Knall die Stille, als der kleine Wagen gegen einen Bus prallte.
Im ersten Augenblick blieben alle Passanten wie erstarrt stehen, doch dann begannen sie zu rennen, denn das Auto konnte jeden Moment explodieren.
Felicity sah, dass der Portier des Hotels gemeinsam mit Liam über die Straße rannte und versuchte, die Türen des Busses zu öffnen, um die Fahrgäste zu befreien. Dann entdeckte sie ihn . Er lief zu dem verunglückten Wagen. Felicity folgte ihm.
Er hatte sich über den verbeulten Wagen gebeugt und mit äußerster Kraftanstrengung die Fahrertür geöffnet. Es gelang ihm, den Motor abzustellen, doch noch immer bestand die Gefahr einer Explosion.
„Verschwinden Sie – das Auto kann jeden Moment in die Luft fliegen.“
Zum allerersten Mal hörte sie seine tiefe Stimme. Auch Liam, der jetzt hinter ihr stand, warnte sie.
„Wir konnten alle Leute aus dem Bus herausholen. Der Fahrer ist nur leicht verletzt. Die Feuerwehr wird jeden Moment kommen – es wäre absoluter Wahnsinn, hier zu bleiben.“
Tatsächlich qualmte es bereits bedrohlich aus der Motorhaube. Felicity hörte das Martinshorn der Feuerwehr näher kommen.
„Gehen Sie!“ Er drehte sich nicht einmal zu ihr um, sondern konzentrierte sich darauf, den Kopf der Verunglückten zu stützen. „Sofort!“
Widerstrebend befolgte sie seinen Befehl. Doch als sie die Straße gerade verlassen wollte, hörte sie einen Schrei. Nicht ängstlich, sondern durchdringend wie
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