Julia Extra Band 0319
das Klagen eines verwundeten Tieres.
Liam flehte sie an, vernünftig zu sein, doch Felicity nahm ihn kaum wahr. Dieses Mal widersprach der Fremde nicht, als sie zurückkam. Er musste das Geräusch auch gehört haben, denn während er die Frau noch hielt, sah er sich suchend im Wagen um.
Felicity versuchte, die hintere Tür zu öffnen, und blickte schließlich durch einen schmalen Spalt ins Wageninnere.
„Das Baby ist verletzt, es blutet am Arm.“
„Können Sie Ihren Arm durch die Tür stecken?“, fragte er. „Bekommen Sie das Baby zu fassen?“
Sie versuchte es, doch sie erreichte das weinende Kind nicht.
„Ich komme nicht weit genug hinein.“
„Versuchen Sie es anders.“ Seine Stimme war ruhig und unaufgeregt. „Drehen Sie sich um, dann können Sie den Arm weiter in den Wagen strecken. Sie können es schaffen.“
„Aber ich sehe nicht, wohin ich greife.“
„Ich werde Sie leiten.“
Allein der Tonfall gab ihr Sicherheit. Plötzlich war Felicity überzeugt, dass es gelingen würde.
Sie drehte sich mit dem Rücken zur Tür. Der Regen prasselte auf ihr Gesicht, doch in dieser Haltung schaffte sie es tatsächlich, weiter ins Wageninnere zu gelangen.
„Greifen Sie weiter nach unten“, befahl Karim. „Dann kommen Sie an den Kindersitz heran. Noch ein Stück nach links, dann fühlen Sie den verletzten Arm.“
Ihre Finger tasteten über den Stoff des Jäckchens, vorsichtig griff sie weiter nach oben und drückte den Oberarm ab, um die Blutung zu stoppen.
In diesem Moment kam die Feuerwehr. Mit einer Brechstange öffnete die Männer die Fahrertür und retteten die verletzte Frau. Noch immer stand Felicity in der unbequemen Stellung am Wagen und hielt den Arm des Babys. Ihre Hand wurde langsam taub.
„Die Sanitäter werden sich gleich um das Kind kümmern“, sprach ihr Helfer ihr Mut zu. „Gute Arbeit. Wie heißen Sie?“
„Felicity“, sagte sie.
„Mein Name ist Karim“, stellte er sich vor, und sie spürte, wie allein seine Anwesenheit ihr Kraft gab.
In diesem Moment schlug ein Feuerwehrmann die Heckscheibe ein und zog behutsam das Baby aus dem Wagen.
Als die Anspannung nachließ, begann Felicity am ganzen Körper zu zittern. Sie fror, ihr Arm schmerzte und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Sie hätten auf mich hören sollen. Wenn der Wagen explodiert wäre, hätten Sie schwer verletzt werden können“, meinte Karim.
Trotzig sah sie ihn an. „Gilt das nicht auch für Sie?“
Er ignorierte ihren Einwand. „Gehen Sie zurück ins Hotel. Ich werde gleich nachkommen.“
„Es geht mir gut …“, protestierte sie, doch Karim hatte sich bereits abgewandt.
Erst jetzt nahm Felicity das Geschehen um sich herum wahr. Die Polizei hatte die Straße abgesperrt, mehrere Feuerwehrwagen und Krankentransporte standen auf der Fahrbahn. Sie beobachtete, wie das Baby in seinem Kindersitz vorsichtig in einen der Rettungswagen gehievt wurde. Dann sah sie Karim, der die Kontrolle übernommen zu haben schien, und tatsächlich hörten alle auf sein Kommando.
Wer war dieser Mann?
Erst als die Sanitäter mit den Verletzten losfuhren, trat er zu Felicity und geleitete sie ohne ein Wort zum Hotel.
Und sie wusste, dass sie nur darauf gewartet hatte.
2. KAPITEL
„Nun, ich denke, Sie haben gerade unter Beweis gestellt, wie qualifiziert Sie sind. Wir brauchen keine Arbeitszeugnisse von Ihnen.“
Gemeinsam saßen sie in der prächtigen Hotellounge; Felicity fror in ihrer regenfeuchten Garderobe und zitterte leicht.
„Ich werde uns etwas Heißes zu trinken bestellen“, versprach Karim, und wenige Augenblicke später bereits stand ein Becher mit dampfend heißer Schokolade vor Felicity.
Nass, fröstelnd und keineswegs mit eleganten Orten wie diesem vertraut, musste sie einen kümmerlichen Eindruck machen. Karim dagegen schien sich vollkommen wohl zu fühlen.
Aufmunternd lächelte er sie an, und erst jetzt wurde Felicity die Tragweite dieses Beisammenseins bewusst. Sie saß hier mit ebenjenem Mann, der ihre Aufmerksamkeit den ganzen Tag lang gefesselt hatte. Im letzten Moment hatte sie auf der Straße beschlossen, sich nicht auf ihn einzulassen – und jetzt lehnte er im Sessel ihr gegenüber und betrachtete sie.
Kein Wunder, dass sie nervös war!
Als sie den Blick seiner dunklen, fast schwarzen Augen erwiderte, schlug ihr Herz schneller. Zweifellos war er ein unglaublich attraktiver Mann. Sein kurzes schwarzes Haar glänzte, er hatte die Krawatte gelockert und den obersten Knopf seines
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