Julia Extra Band 0319
Diese Frau, die für andere Menschen ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, konnte er nicht im nächtlichen London sich selbst überlassen. Für jeden anderen Bewerber hätte er genauso gehandelt, versuchte er sich einzureden. Tatsächlich aber hatte er eins der luxuriösesten Zimmer für sie gebucht. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er das getan hatte.
„Sie sind sehr großzügig, vielen Dank“, sagte Felicity, während sie ihre Tasche nahm. „Es wird wunderbar sein, aus den Kleidern herauszukommen …“ Peinlich berührt von ihrer Wortwahl, stockte sie. „Also dann, danke noch mal.“
Ihm war klar, dass ihre Worte nichts zu bedeuten hatten. Nicht mit einer Silbe, einem Augenaufschlag hatte sie mit ihm geflirtet. Sie würde jetzt aufstehen und gehen, und er würde sie vielleicht nicht wiedersehen.
„Mögen Sie noch etwas trinken?“, lud er sie ein, doch sie schüttelte den Kopf.
„Nein, danke.“
„Später vielleicht?“ Wenn sie wieder ablehnte, würde er aufgeben. Schließlich war er zum Vergnügen in London, und dies entpuppte sich als harte Arbeit.
In dem Moment, als Felicity sich zum Gehen wandte, erschien der Kellner.
„Werden Sie und Ihre Begleitung heute Abend im Hotel speisen, Euer …“
Ein warnender Blick von Karim ließ ihn verstummen. Es gab die strikte Anweisung an das Personal, seinen Titel nicht zu verwenden.
„… Sir“, endete er deshalb.
Spontan wollte Karim ablehnen. Er dachte an Mandy, unkompliziert und immer für ihn bereit. Mit ihr war ihm ein vergnügliches Wochenende sicher. Sein Blick wanderte zu Felicity. Unsicher wartete sie seine Reaktion ab, bereit, sofort zu gehen, wenn er die Frage des Kellners verneint hätte. Mit leichter Erregung erinnerte er sich an ihr erstes Zusammentreffen im Konferenzraum, an die unerklärliche Spannung, die er so stark gespürt hatte, dass er den Raum verlassen musste. Und er beschloss, dass sie es wert war, Mandy heute Abend zu versetzen.
„Darf ich Sie zum Essen einladen?“
Der kühle Ausdruck in ihren Augen ließ ihn zurückrudern. „Verstehen Sie es nicht als Verpflichtung. Ich … würde mich nur freuen.“
„Natürlich.“ Es gelang Felicity, ein Lächeln aufzusetzen. Doch dann rief sie sich zur Ordnung. Was war dabei? Ein attraktiver Mann lud sie zum Essen ein … Vielleicht war es wirklich nur nett gemeint, ohne Hintergedanken. Seit Monaten war sie nicht mehr ausgegangen, warum sollte sie diesen Abend nicht einfach genießen?
Als sie in seine dunklen Augen sah, war die Antwort plötzlich ganz leicht. „Ich nehme die Einladung gern an. Allerdings …“ Mit einem Ausdruck der Verzweiflung sah sie an ihren zerknitterten Kleidern hinunter.
„Der Hotelservice wird das erledigen.“ Mit einer lässigen Handbewegung wischte er ihren Einwand hinweg. „Und ich werde Ihnen heute Abend sagen können, wie es der Mutter und dem Baby geht.“
Stumm nickte Felicity.
„Passt es Ihnen um acht Uhr? Hier im Foyer?“, schlug Karim vor.
Dieses Mal musste sie sich nicht zu einem Lächeln zwingen. „Ich freue mich darauf“, antwortete sie ehrlich.
Es würde ein schöner Abend werden, beschloss Felicity, als sie Karim nachsah, der durch die Hotellounge ging und auf den Fahrstuhl zusteuerte. Beim Blick auf ihre Uhr allerdings erschrak sie: Ihr blieb nur noch eine Stunde, um sich frisch zu machen. Sie erinnerte sich, dass sie einige Häuser weiter eine Drogerie gesehen hatte, und machte sich hastig auf den Weg dorthin. In Windeseile erstand sie feine, glänzende Seidenstrümpfe, eine Zahnbürste samt Pasta und Haarshampoo und brachte die Einkäufe auf ihr Zimmer.
Als sie die Tür öffnete, blieb sie einen Moment wie erstarrt auf der Schwelle stehen. Das schlichte Zimmer, das sie erwartet hatte, entpuppte sich als weitläufige Suite.
Sie schloss die Tür, schleuderte ihre Schuhe von sich und ließ sich auf das einladende breite Bett fallen.
Da klopfte es.
Ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. War Karims Angebot doch nicht so ehrenwert gewesen, wie sie gehofft hatte?
Unsicher öffnete sie und ließ erleichtert das Zimmermädchen ein, das ihr eine Auswahl an Kleidern brachte.
„Bitte, suchen Sie sich aus, was Sie brauchen“, bot die junge Frau an. „Ich nehme Ihre Garderobe mit in die Reinigung, morgen früh ist sie wie neu.“
Felicity konnte es kaum fassen. So sehr – zu sehr, merkte sie jetzt – war sie daran gewöhnt, Entscheidungen für andere treffen zu müssen, Probleme zu lösen. Doch seit sie hier
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