Julia Extra Band 0319
wären allein gewesen! Und diskret. Wie naiv sie doch war. Sie lächelte zynisch. In den letzten vierundzwanzig Stunden war sie schnell erwachsen geworden. „Es stimmt. Ich war mit einem Mann zusammen“, bestätigte sie kühl.
Ihr Vater drehte sich zu ihr um, mit ungläubig hochgerissenen Augenbrauen. „Ein Fremder? Du bist mit einem Fremden ausgegangen? Abby, wie konntest du nur!“
Gleichgültig zuckte sie mit einer Schulter. Sie würde nicht zugeben, wie leicht es ihr gefallen war. „Ich habe mit ihm zu Abend gegessen. Was ist daran so schlimm?“
„Die Reporter behaupten, du seist mit ihm aufs Zimmer gegangen.“
Abby hob ihr Kinn. „Mein Privatleben geht niemanden etwas an.“
„Falsch“, widersprach Andrew sofort. „Mich geht es etwas an, und die Öffentlichkeit auch. Denn du stehst im Licht der Öffentlichkeit. Wir haben hart dafür gearbeitet, um dich zu einer Berühmtheit zu machen.“
„Vielleicht will ich ja gar keine Berühmtheit sein.“
Andrew schüttelte den Kopf. „Dafür ist es jetzt zu spät.“
Für viele Dinge ist es zu spät, dachte Abby. Auch für Bedauern. Sie musste an Lucs Wunsch denken, die Zeit zurückdrehen zu können. Würde sie die Zeit zurückdrehen? Um den gestrigen Abend ungeschehen zu machen?
Nein, das nicht. Sie würde die Uhr zurückdrehen, damit der Abend in der Erfüllung gipfeln würde, die er versprochen hatte. Wie unglaublich dumm war das?! Doch die letzte Nacht war magisch gewesen, trotz der Enttäuschung, die der Morgen brachte, und Abby war froh, eine solche Nacht erlebt zu haben.
„Ich brauche eine Dusche“, erklärte sie ihrem Vater knapp. „Und ich will mich umziehen. Dann können wir reden.“ Abby sah das überraschte Aufflackern in seinen Blick. Er war es nicht gewohnt, Anordnungen von ihr zu hören. Sie war es ja auch nicht gewohnt, Anordnungen zu geben.
Mit dem Rascheln von Seide drehte sie sich um und verschwand in ihrem privaten Schlafzimmer. In dem angrenzenden Bad zog sie das Kleid aus und kickte es in die Ecke. Nie wieder würde sie es tragen, es schien ihr beschmutzt. Alles schien ihr beschmutzt.
Wütend drehte sie die Dusche auf und stellte sich unter den heißen Wasserstrahl, ließ ihre Tränen vom Wasser fortschwemmen. Die magische Schönheit der letzten Nacht konnte die Hässlichkeit des Morgens nicht wettmachen. Wieso war Luc gegangen, ohne ein Wort?
Die Antwort war offensichtlich. Er hatte seine Meinung geändert. Sie war so linkisch und tölpelhaft gewesen, dass er mitten in der Nacht aus dem Bett gestiegen und verschwunden war. Nie würde sie besitzen, was nötig war, um ihn zu halten.
Geduscht und angezogen kehrte Abby in den Salon zurück. Ihr Vater saß auf dem Sofa und telefonierte mit grimmiger Miene. Mit dem Theaterdirektor? Mit einem Reporter? Mit ihrem Agenten?
Energisch klappte er das Handy zu und warf Abby einen zornigen Blick zu. „Das war deine Mutter. Sie hat heute Morgen schon in der Tageszeitung von dem geheimnisvollen Mann gelesen, der mit dem Wunderkind gesehen wurde.“
Das Wunderkind. So wurde sie seit ihrem siebzehnten Lebensjahr genannt. Nie hatte sie diesen Ausdruck gemocht, er klang so unpersönlich. Sie ging zum Fenster und schaute auf die Stadt hinaus. Bald würde der Frühling Einzug halten, doch noch reckten die Bäume ihre Äste kahl und grau in den fahlen Himmel.
„Ich glaube nicht, dass dir klar ist, was diese letzte Nacht bedeutet“, fuhr ihr Vater mit vorwurfsvoller Stimme fort.
Ein trockenes Lachen entrang sich ihrer Kehle. „Ich weiß genau, was sie bedeutet.“ Nichts, sie bedeutete absolut nichts.
„Für deine Karriere“, betonte er, „und auch für …“ Er brach ab.
Ihr Vater war ihr Mentor und ihr Manager, doch über persönliche Dinge wurde in ihrer Beziehung nicht gesprochen. Abby war weder Frau noch Tochter für ihn, sie war Pianistin. Das Wunderkind. „Welche Bedeutung sollte es schon für meine Karriere haben?“ Im Moment interessierte sie das nun wirklich nicht im Geringsten.
„Es ruiniert deinen Ruf, wenn du als Party-Girl bekannt wirst.“
„Party-Girl?“, wiederholte sie fassungslos. Ihr Leben könnte nicht weiter davon entfernt sein – sowohl von Partys als auch von allem, was mit dem weiblichen Geschlecht als solchem zu tun hatte. Nie hatte sie etwas unternommen, nie etwas getan, das ein solches Urteil verdiente … bis zum gestrigen Abend.
Gestern Abend war ihr alles egal gewesen – ihr Ruf, ihre Karriere, ihr Leben. Für einen Abend, für einen Mann.
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