Julia Extra Band 0319
glaube, das hat er inzwischen eingesehen. Endlich leben wir beide unser eigenes Leben.“
Luc machte einen Schritt auf sie zu. „Wieso verachtest du mich nicht?“
„Dich verachten?“, wiederholte sie. „Weshalb? Wie könnte ich?“
„Nach allem, was ich dir erzählt habe, nach allem, was ich dir angetan habe?“ Er hob die Hände. „Ich bin weggegangen, aus Angst und aus Egoismus. Nichts wünschte ich mir mehr, als in jener Nacht bei dir zu bleiben. Und mit dir am nächsten Morgen aufzuwachen. Jeden Morgen.“ Er ging auf sie zu und stellte sich so vor Abby, dass sie sich automatisch gegen den Flügel lehnte.
„Warum bist du dann gegangen?“, wisperte sie.
„An jenem Tag …“ Die Erinnerungen wollten ihn erdrücken, er verzog das Gesicht. „An jenem Nachmittag hatte ich Briefe gefunden. Von Suzanne an sich selbst. Eine Art Tagebuch, dem sie all ihre Gefühle anvertraute – wie unglücklich sie war, dass ich sie nie lieben könnte, wie sie geliebt werden wollte. Und wie sehr sie ihr Leben hasste. Zwei Wochen vor ihrem Tod schrieb sie dann, dass sie allem entfliehen wollte. Für immer.“
„Das tut mir so leid“, sagte sie voller Mitgefühl und wusste doch, wie wenig ihre Worte ausrichten konnten.
„Ich fuhr damals direkt nach Paris, der Schock hatte mich betäubt. Ich wusste nicht, dass sie so fühlte. Ich dachte, der Grund für ihren Kummer wäre die Fehlgeburt gewesen. Aber damit hatte ich mir nur selbst die Absolution erteilt.“
Abby blinzelte die Tränen fort, die hinter ihren Lidern brannten. „Es war nicht deine Schuld, Luc …“
Doch er hörte sie gar nicht. „An jenem Tag habe ich das Schloss verschließen lassen. Ich wollte nicht mehr hier leben, nicht in dem Wissen, dass das Leben hier für das Unglück eines anderen Menschen verantwortlich war, mit der Erkenntnis, welchen Preis ein anderer Mensch für meinen Ehrgeiz hatte zahlen müssen. Seitdem war ich nicht mehr hier.“ Er hob eine Hand, als wolle er sie berühren, doch dann ließ er die Hand wieder sinken. „Ich ging in dein Konzert, weil ich meinen eigenen Gedanken entkommen musste. Als ich dich dann sah …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verspürte Hoffnung. Und als ich dann mit dir sprach, als wir zusammen waren …“ Er schluckte. „Ich konnte nicht bleiben. Ich durfte dich nicht in meine Probleme mit hineinziehen, in meine Qualen. Deshalb bin ich gegangen.“ Seine Augen baten um Vergebung. „Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe.“
Sie nickte, nahm seine Entschuldigung an. Die Geständnisse, die Luc gemacht hatte, wirbelten in ihrem Kopf herum. „Und jetzt?“, brachte sie schließlich hervor und wartete mit angehaltenem Atem auf seine Antwort.
Es dauerte viel zu lange, bis er antwortete. „Ich weiß es nicht. Ich dachte, ich würde nie wieder heiraten. Ich dachte, ich wäre nie in der Lage, jemanden zu lieben, wie er es verdient. Ich habe Suzanne in so vieler Hinsicht im Stich gelassen. Ich will niemanden mehr so enttäuschen.“
„Und deshalb willst du dich jetzt für den Rest deines Lebens von allem und jedem abschotten? Nie wieder einen Versuch wagen?“
„Ich hielt es gar nicht mehr für möglich. Ich war leer, ausgehöhlt … Doch dann traf ich dich.“ Er streckte eine Hand aus, fuhr mit den Fingerspitzen über ihre Wange. Abby schloss die Augen. „Ich fühlte, fühlte so viel. Etwas so Wunderbares, dass es mir Angst einflößt. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.“
„Aber ich.“ Es war erstaunlich leicht, zu lächeln, die Arme um seinen Hals zu schlingen, ihn an sich heranzuziehen und ihn zu küssen. Leicht, zärtlich, flüchtig.
Sie spürte Lucs Zögern, wusste, dass er sie zurückküssen wollte und doch meinte, es nicht zu dürfen. Aber sie würde ihm nicht erlauben, sich zurückzuziehen. Sie ließ sich zurückfallen, landete mit dem Po auf der Klaviatur und schuf ein herrlich dissonantes Geräusch.
Lucs Widerstand brach. Sie küssten sich, legten ihre Herzen und ihre Seelen in den scheinbar endlos dauernden Kuss. Es war ein Kuss, der alles in sich vereinte – Hoffnung, Heilung und Freude.
Und die Sonne strömte durch die Fenster und hüllte beide in ein goldenes Licht.
12. KAPITEL
Danach änderte sich alles. Die drückende Atmosphäre im Bauernhaus verflog. Die Frühlingstage enthielten bereits das Versprechen auf den Sommer, die Tage wurden warm und golden.
Über die Zukunft wurde nicht gesprochen. Abby zwang sich, sich davon nicht stören zu lassen. Die gemeinsame
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