Julia Extra Band 0319
Junge war ich machtlos, aber es nagte schon damals an mir. Ich konnte nicht abwarten, alles zurückzugewinnen, was wir verloren hatten. Mit neunzehn übernahm ich die Leitung über Toussaint Holding und alles andere. Die nächsten zehn Jahre habe ich darauf verwandt, den alten Zustand wieder herzustellen und dem Erbe meiner Familie zu altem Glanz zurückzuverhelfen. Mein Streben wurde zu einer Obsession. Und obwohl ich Erfolg hatte … nie war es genug. Immer gab es noch mehr zu tun, noch mehr abzusichern, noch mehr zu erreichen.“
Er drehte sich zu Abby um, ein grimmiges Lächeln auf den Lippen. „Suzanne passte genau ins Bild. Wir kannten uns seit der Kindheit, sie war die perfekte Braut. Dachte ich. Aus einer benachbarten Familie, gebildet, gut erzogen, adäquat.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht ahnen, welchen Preis sie würde bezahlen müssen. Vielleicht wollte ich auch nur nicht darüber nachdenken.“
„Ihr wart nicht glücklich?“, fragte Abby flüsternd.
Luc schüttelte den Kopf. „Suzanne hatte eine Fehlgeburt, gleich zu Anfang unserer Ehe. Es hat sie zerstört, nur wusste ich das nicht, weil sie es so gut kaschiert hat. Oder ich habe nicht richtig hingesehen. Natürlich war auch ich traurig“, er warf einen Blick zu Abby, „aber ich hielt mich daran fest, dass wir noch andere Kinder haben würden.“
Abbys Hand legte sich unwillkürlich über ihren Bauch. Das andere Kind …
Luc hob die Hände. „Was könnte ich schon zu meiner Entschuldigung vorbringen? Ich habe mich in meiner Arbeit vergraben und sie hier als Schlossherrin zurückgelassen. Sie hasste diese Rolle. Sie war einsam …“ Seine Stimme erstarb. „Ich wusste noch nicht einmal, dass man ihr Antidepressiva verschrieben hatte. Ich habe die Augen absichtlich vor allem verschlossen, mich nur darauf konzentriert, mein Königreich aufzubauen … und wofür das alles?“ Er drehte sich wieder um, schaute hinaus, nun die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
„Das hört sich an, als hätte sie ihre Krankheit absichtlich verschwiegen. Das kann doch nicht deine Schuld gewesen sein“, sagte Abby leise.
„Woher willst du das wissen?“, begehrte er auf. „Suzanne war meine Frau, sie war erst zwanzig, als wir heirateten. Ich hatte die Verantwortung für sie, ich hätte es merken müssen. Mir war nicht klar, dass sie wusste, dass …“
„Was wusste?“
„Dass ich sie nicht liebte“, spie er bitter aus. „Ich mochte sie, und ich dachte, sie wäre die perfekte Ehefrau. Aber sie wollte geliebt werden, und das konnte ich nicht. Manchmal frage ich mich, ob sie deshalb …“ Er brach ab, presste die Lippen zusammen.
Abby wartete ab, wusste, dass er von allein weiterreden würde. Und als er dann sprach, musste sie sich anstrengen, um die Worte zu verstehen.
„Ob sie deshalb diesen Unfall hatte. Nie fuhr sie irgendwohin, aber an diesem Tag verunglückte sie tödlich auf der Uferstraße. Auf einer völlig geraden Strecke. Man hat sie mit dem Wagen aus dem Fluss gezogen.“
„Und du glaubst, sie hat es absichtlich getan?“, fragte sie vorsichtig.
Er nickte knapp. „Offiziell heißt es, es war ein Unfall. Aber wer weiß das schon?“
Die Ungewissheit musste am schlimmsten sein, die ewigen Zweifel. Doch wenn sie Luc jetzt so vor sich stehen sah, mit hängenden Schultern und gebeugtem Kopf, dann wusste sie, dass er zu viel Schuld auf sich genommen hatte. Er hatte die volle Verantwortung für Suzannes Leben – und Tod – auf sich genommen, genau wie bei ihr. Kein Wunder, dass er das Gefühl hatte, nichts mehr geben zu können. Wenn man die alleinige Verantwortung für das Glück eines anderen Menschen auf sich nahm …
„Du kannst dir nicht die Schuld für das Unglück eines anderen Menschen geben, Luc“, sagte sie ernst. „Genauso wenig wie man die Verantwortung für das Glück eines anderen übernehmen kann. Verantwortlich bist du nur für deine eigenen Schritte und Handlungen. Das habe ich selbst erst kürzlich erkannt. Ich habe mein Leben für meinen Vater gelebt. Er hatte davon geträumt, Konzertpianist zu sein, nicht ich. Aber ich wollte ihn glücklich machen, und in dem Prozess habe ich mich selbst verloren. Ich habe meine Freude an der Musik verloren.“ Das Geständnis tat weh, und sie warf einen Blick hinüber zu dem Flügel.
„Aber du spielst so wunderbar.“
„Ja, und ich liebe es auch zu spielen. Nur eben nicht in einem Konzertsaal. Ich kann meinem Vater nicht seinen Traum erfüllen. Ich
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