Julia Extra Band 0325
„Was meinst du?“, fragte sie ihren Sohn. „Der Preis ist um die Hälfte reduziert.“
Er gähnte, schmatzte mit den Lippen und sah nicht sehr begeistert aus.
„Du hast recht. Die Farbe macht mich zu blass.“
Seufzend hängte sie es zurück. Sie waren seit zwei Stunden unterwegs. Reine Zeitvergeudung. Oder auch nicht, dachte sie, als ihr Blick auf das moosfarbene Kostüm an einer Schaufensterpuppe fiel. Die Jacke war kurz und hatte dreiviertellange Ärmel und zweireihige Perlmuttknöpfe. Der Rock war fließend und schmeichelte ihrer neuen Figur, ohne die Rundungen zu betonen, die sie noch loswerden musste. Sie schob Brice hinüber und griff mit angehaltenem Atem nach dem Preisschild.
Sie schluckte. „Vermutlich haben sie es ohnehin nicht in meiner Größe da“, flüsterte sie und hoffte inständig, dass sie recht behielt.
Sie hatten es da.
„Wahrscheinlich steht es mir gar nicht“, sagte sie.
„Soll ich das für Sie in eine Umkleidekabine bringen?“
Morgan drehte sich um. Hinter ihr stand eine Verkäuferin. „Ich … ich …“ Mit einem verlegenen Lächeln nickte sie.
Das Kostüm passte nicht nur, sondern stand ihr wirklich wundervoll. Selbst Brice gluckste freudig, als sie sich darin vor dem Spiegel drehte. Aber das hatte vielleicht eher mit seiner Verdauung zu tun, denn anschließend machte er ein lautes Bäuerchen.
„Wie sieht es aus?“, fragte die Verkäuferin, die vor der Kabine wartete.
„Toll. Es passt und gefällt mir. Aber ich habe ein Problem.“ Und damit meinte sie nicht nur den Preis. Morgan schaute nach unten. „Ich brauche noch passende Schuhe.“
Als sie eine halbe Stunde später das Kaufhaus verließ, hatte sie nicht nur das Kostüm und fast ebenso teure Schuhe gekauft, sondern auch noch eine Handtasche. Außerdem hatte sie sich für den nächsten Tag im Frisiersalon angemeldet. Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie viel sie gerade mit der Kreditkarte bezahlt hatte, die sie für Notfälle immer bei sich hatte.
Am Abend, als Brice in seinem Kinderbett schlief, saß Morgan am Küchentisch, nippte an einem Kräutertee und blätterte in ihren Kontoauszügen. Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht des Automechanikers gewesen. Die Reparatur würde fast so viel kosten, wie sie bei Danbury’s ausgegeben hatte. Was bedeutete, dass sie erneut zu ihrer Notfallkreditkarte greifen musste.
Seufzend überflog sie die Auszüge ein zweites Mal. Sie würde sich so schnell wie möglich einen richtigen Job besorgen müssen, eine Vollzeitstelle mit Vergünstigungen und Altersvorsorge. Der Gedanke stimmte sie traurig. Es war so schön, ihre Liebe zur Musik mit den Kindern im Stadtteilzentrum zu teilen. Und sie hatte das Gefühl, dass auch ihre Schüler etwas davon hatten.
Normalerweise ignorierte Bryan sein Handy beim Essen, doch als er die Nummer auf dem Display las, warf er seiner Mutter einen entschuldigenden Blick zu, stand vom Tisch auf und ging ins Arbeitszimmer seines Vaters. Es war Gil Rogers, der Privatdetektiv, den er auf Morgan angesetzt hatte. Er hatte dem Mann vorhin eine Nachricht hinterlassen. „Danke, dass Sie zurückrufen.“
„Sie haben gesagt, es sei wichtig.“
„So ist es. Ich … ich habe beschlossen, dass ich nun doch keine Informationen über Miss Stevens brauche. Natürlich bezahle ich für Ihre bisherigen Bemühungen.“
„Sind Sie sicher?“ Der Privatdetektiv lachte leise. „Schon gut. Wahrscheinlich würde ich ohnehin nichts finden. Wäre da nicht das Baby, könnte die Frau sich in jedem Kloster bewerben. Abgesehen von zwei Freunden auf dem College und hin und wieder einem Date scheint sie keine ernsthaften Beziehungen gehabt zu haben.“
„Also war sie mit keinem anderen Mann befreundet, als das Baby gezeugt wurde?“
„Nicht nach Aussage der Leute, mit denen ich gesprochen habe.“ Gil zögerte. „Aber ich habe noch etwas herausgefunden. Es hat nichts mit dem Baby zu tun, aber vielleicht finden Sie es trotzdem interessant.“
„Erzählen Sie.“
„Ihre Eltern sind beide tot.“
„Ja, ich weiß.“
„Sie sind zusammen in ihrem Haus in Brookside gestorben. An einer Kohlenmonoxidvergiftung. Die Ermittlungen haben ergeben, dass die Entlüftung der Heizungsanlage defekt war.“
„Wie schrecklich“, entfuhr es Bryan. Schockiert ließ er sich auf die Couch fallen.
„Miss Stevens hat sie gefunden“, fuhr der Privatdetektiv fort. „Ihre Eltern lagen noch im Bett. Offenbar waren sie eingeschlafen und sind nie wieder
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