Julia Extra Band 0325
„Dreh dich um, Morgan“, bat er ernst.
Sie kam sich ein bisschen albern dabei vor, vollführte aber trotzdem eine kleine Pirouette. „Und?“
„Du hast etwas mit deinem Haar gemacht.“
„Ich habe es schneiden lassen. Ich wollte einen anderen Stil.“ Es war ein sportlicher Look, der ihr schmales Gesicht betonte und das Haar locker auf die Schultern fallen ließ.
„Es sieht … du bist wunderschön, Morgan. Geradezu atemberaubend.“
Er sagte es so, wie er alles sagte – bestimmt und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Nicht, dass sie widersprechen wollte. Wenn der Mann sie atemberaubend finden wollte, würde sie ganz sicher nicht protestieren. Dillon hatte ihr immer wieder geschmeichelt, Bryan dagegen machte selten Komplimente, und genau deshalb freute sie sich so sehr darüber. In seinen dunklen Augen blitzte etwas auf, und einen Moment lang rechnete sie damit – und hoffte sogar – dass er sie wieder küssen würde. Doch dann machte er einen Schritt zurück und wandte den Blick ab.
„Wir sollten aufbrechen.“
Die Villa der Caliborns in Lake Forest hatte mehr Quadratmeter als die Grundschule, an der Morgan in Wisconsin unterrichtet hatte. Mit ihrer Säulenfassade und dem kleinen Park, der sie umgab, bot sie einen imposanten Anblick.
Bryan kam um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Das tat er nicht nur, weil er ein Gentleman war, sondern auch, weil Morgan keinerlei Anstalten machte, aus dem Wagen auszusteigen. Sie war nicht feige, aber in diesem Moment überlegte sie, ob sie einen Schwindelanfall vortäuschen und Bryan bitten sollte, sie in die Stadt zurückzufahren.
Er schien zu ahnen, wie es ihr ging, denn er half ihr ins Freie und drückte dabei aufmunternd ihre Hand. „Sie sind liebenswerte, gutmütige Menschen“, sagte er leise. „Menschen, die schwere Verluste erlitten haben.“
Verluste. Mehrzahl. Bevor sie nachfragen konnte, kam eine schlanke Frau von etwa sechzig um die Ecke des Hauses. Sie trug Arbeitshandschuhe, hielt eine kleine Schaufel in der Hand und schrie freudig auf, als sie Morgan entdeckte und auf sie zueilte.
Was für eine nette Begrüßung durch eine Gärtnerin, dachte sie.
„Hallo, Mom.“ Lächelnd beugte Bryan sich vor und küsste sie auf die Wange.
Mom? Morgan hatte mit einer Chanel und Brillanten tragenden Lady gerechnet, nicht mit einer warmherzigen und vor Leben sprühenden Frau, deren Falten verrieten, wie gern sie lachte. Und sie sah nicht aus, als wollte sie mit Botox etwas dagegen unternehmen. ihr Haar war nicht weiß oder grau, sondern silbern. Sie trug es kurz und in einem Stil, der ihr ovales Gesicht betonte. Ein Gesicht, das von Augen beherrscht wurde, die ebenso dunkel wie Bryans waren.
„Das sind Morgan und Brice“, sagte er. „Morgan, das ist Julia Caliborn, meine und Dillons Mutter.“
„Hallo, Mrs. Caliborn.“ Morgan nahm das Baby auf den anderen Arm und streckte die rechte Hand aus.
„Nennen Sie mich doch bitte Julia.“ Sie streckte die Hand mit der Schaufel aus und zog sie mit einem verlegenen Lachen zurück. „Oje! Ich fürchte, ich mache keinen sehr guten ersten Eindruck. Entschuldigen Sie mein Aussehen“, sagte sie zu Morgan und sah Bryan an. „Ihr seid früh.“
Er schüttelte den Kopf. Sein belustigtes Lächeln ließ ihn noch attraktiver erscheinen. „Wir sind pünktlich, Mom. Aber wenn du in deinem Garten arbeitest, vergisst du die Zeit.“
„Schuldig im Sinne der Anklage.“ Sie strahlte Morgan an. „Ich finde es herrlich entspannend, in der Erde zu wühlen. Gleich nach dem Frühstück habe ich angefangen, Unkraut zu jäten und Pflanzen zu beschneiden. Da wir im Ausland waren, habe ich die wichtigste Zeit im Garten verpasst. Natürlich hat sich jemand darum gekümmert, aber meine Blumenbeete sehen schrecklich aus.“
„Unwahrscheinlich“, sagte Bryan. „Meine Mutter ist viel zu bescheiden. Sie ist eine begnadete Gärtnerin, und über das Anwesen ist schon mehrmals in Fachzeitschriften berichtet worden.“ Sein Stolz war nicht zu überhören.
Julia machte eine abwehrende Handbewegung und lächelte Morgan entschuldigend an, bevor ihr Blick auf das schlafende Baby fiel. „Ich würde ja gern fragen, ob ich ihn mal halten darf, aber im Augenblick geht das schlecht.“
Dass sie damit nicht nur ihre verschmutzte Kleidung meinte, ging Morgan auf, als Julias Augen sich mit Tränen füllten. Eine lief ihr über die Wange. Sie wischte sie ab und hinterließ dabei dunklen Streifen. Morgans Augen
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