Julia Extra Band 0326
schaute ein zweites Mal hin. Nein, es war wirklich keine Täuschung, dort stand Giovanni! Und ihr hatte er erzählt, er sei auf dem Lande! Stattdessen hielt er sich in Rom auf und unterhielt sich vor einem Straßencafé mit einer temperamentvoll gestikulierenden Frau! Sie war teuer und elegant gekleidet, das erkannte Emily sofort, ihr Alter jedoch ließ sich schlecht schätzen, da sie ihr den Rücken zuwandte.
Wie sollte sie sich verhalten? Giovanni wusste nichts von ihrer erneuten Dienstreise nach Rom. Was sollte sie ihm antworten, wenn er sie nach dem Grund für ihre Heimlichtuerei fragte? Die Wahrheit einzugestehen und mit Giovanni über ihre Angst zu reden, sich in ihn zu verlieben, kam nicht in Betracht.
In ihrer Not versteckte Emily sich im Schatten eines Hauseingangs. Gerade noch rechtzeitig, denn die Frau verabschiedete sich von Giovanni und ging nur einige Schritte von ihr entfernt eilig vorbei. Emily schluckte. War das nicht das schöne Mädchen, dessen Fotografie sie in Giovannis Wohnung bewundert hatte? Sie war sich ziemlich sicher, obwohl eine große Sonnenbrille mit dickem schwarzem Rahmen die Gesichtszüge nicht genau erkennen ließ.
So, wie Giovanni und die Unbekannte miteinander umgegangen waren, mussten sie ausgesprochen vertraut miteinander sein. Wenn es sich nicht um das Mädchen auf dem Bild handelte, dann bestimmt um eine andere Schönheit, der Giovanni Boselli zurzeit seine Gunst schenkte. Doch das alles ging sie nichts an. Giovanni war ein freier Mann und ihr keine Rechenschaft schuldig.
Erst als sich auch Giovanni nicht mehr in Sichtweite befand, trat Emily aus dem Schatten hervor und setzte ihren Weg fort. Zugegeben, sie fühlte sich deprimiert. Giovanni in Rom zu begegnen, hatte sie verstört. Was hätte sie ihm sagen sollen, wenn er sie entdeckt hätte?
Die Situation war ausgesprochen unangenehm, denn auf ihrem Weg zum Flughafen hatte sie noch mit ihm telefoniert, ohne die Reise mit einer Silbe zu erwähnen. Sie biss sich auf die Lippe. Dafür ließ sich einfach keine Begründung finden, die nicht ausgesprochen dumm und kindisch klang. Daher entschied sie sich, den Romaufenthalt auch in Zukunft zu verschweigen.
Quietschende Bremsen, Schreien und lautes Schimpfen rissen sie jäh aus ihren Gedanken. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Direkt vor ihr, mit den Vorderreifen schon halb auf dem Gehweg, kam mit wildem Gehupe ein Taxi zum Stehen. Noch nie hatte sie eine Notbremsung so aus der Nähe erlebt. Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Angst, und sie hielt den Atem an: Vor dem Kühler, direkt unter der Stoßstange, lag ein Mensch!
Den umstehenden Passanten schien es ebenso zu gehen wie ihr, alle waren starr vor Schrecken, und niemand half. Emily, die schon etliche Kurse in Erster Hilfe absolviert hatte, fasste sich als Erste und eilte zur Unfallstelle. „Jemand muss einen Krankenwagen rufen – schnell!“, rief sie und kniete sich neben dem Unfallopfer nieder.
Es handelte sich um eine junge Frau, wie sie jetzt erkannte. Sie schien Glück im Unglück gehabt zu haben, denn sie war bei Bewusstsein und bewegte sich. Hysterisch schluchzend versuchte sie, unter dem Auto hervorzukriechen, was ihr jedoch nicht gelang. Sie war eingeklemmt und hatte zu wenig Platz, um sich auf den Bauch zu drehen, und sie blutete stark aus einer Platzwunde an der Stirn.
Panisch sah sie Emily an. „Helfen Sie mir … bitte“, flehte sie.
Emily versuchte, Ruhe zu bewahren und zuversichtlich zu lächeln. Sie griff die Hand der Verletzten und besann sich auf die spärlichen Brocken Italienisch, die sie beherrschte. „Es ist alles in Ordnung … Ihnen ist nichts Lebensbedrohliches passiert.“ Wie sollte sie die Frau in einer ihr fremden Sprache nur trösten? „Wie heißen Sie?“, war das Beste, das ihr einfiel.
„Anna.“ Ohne sichtliche Schwierigkeiten hob sie den Kopf, um ihrer Helferin ins Gesicht zu sehen. Emily fiel ein Stein vom Herzen, die Wirbelsäule war also nicht gebrochen.
„Und ich heiße Emily.“ Sie sprach ihren Namen betont langsam aus. „Gleich wird ein Arzt kommen und Ihnen helfen, Anna.“
Erst jetzt bemerkte Emily, dass Anna nicht nur an der Stirn, sondern auch aus einer offenen Wunde am Oberarm blutete. Schnell öffnete sie ihre Handtasche, knüllte ihren gesamten Vorrat an Papiertaschentüchern zu einem festen Ball zusammen und drückte ihn fest auf die Verletzung.
Emily strich ihr eine blutverklebte Haarsträhne aus der Stirn. „Sie halten sich wirklich tapfer“, machte
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