Julia Extra Band 0326
sie ihr Mut. „Wie alt sind Sie eigentlich?“
Anna wimmerte nur, fasste sich dann jedoch wieder. „Zwanzig.“
„So jung und so hübsch! Keine Angst, gleich kommt die Ambulanz und bringt Sie ins Hospital. Morgen früh sind Sie bestimmt schon wieder zu Hause.“
Endlich kniete sich jemand neben sie, um ihr bei den Bemühungen um die Verletzte zu helfen. Sie hob den Kopf – und blickte direkt in Giovannis Gesicht. Da sie nur an Anna und nicht an sich dachte, verschwendete sie keinen Gedanken an die Unannehmlichkeiten, in die die Situation sie unweigerlich bringen musste.
„Das ist Anna“, erklärte sie. „Der Unfall ist gerade erst passiert, aber sie kann frei atmen, den Kopf bewegen und ist bei klarem Bewusstsein.“
Ohne Emily weiter zu beachten, legte Giovanni Anna die Hände auf die Schultern und redete leise und eindringlich auf sie ein. Anna beantwortete all seine Fragen und beruhigte sich merklich.
Endlich ertönten Sirenen, und Polizei und Krankenwagen trafen ein. Giovanni übernahm es, den Beamten den Sachverhalt zu erklären. Anschließend legte er Emily den Arm um die Schultern und führte sie schweigend und mit undurchdringlicher Miene fort von der Unfallstelle.
Erst jetzt zeigte der Schock bei Emily Wirkung. Sie wankte, ihre Zähne schlugen aufeinander, und Tränen liefen ihr über die Wangen.
Giovanni zog sie noch enger an sich und blickte besorgt auf sie nieder. Doch seine körperliche Nähe, die Wärme und Geborgenheit ausstrahlte, beruhigte Emily, und ihr Schritt gewann an Festigkeit.
Giovanni schwieg, um ihr Zeit zum Erholen zu geben, das wusste Emily genau. Doch lange würde er sie nicht mehr schonen, und dann war sie ihm eine Erklärung schuldig.
„Ein Unfall direkt vor meinen Füßen – was für ein unglaublicher Zufall“, meinte sie leise.
„Dich in Rom zu treffen, wenn ich dich in London glaube – was für ein unglaublicher Zufall“, konterte er und lächelte.
Emily schluckte. „Ich habe einfach vergessen, dir etwas von meiner Romreise zu erzählen. Entschuldige bitte.“ So dumm die Erklärung auch klang, es war die einzige, die ihr einfiel.
„Darüber reden wir später. Wasser und Seife sind im Moment wichtiger.“
Wasser und Seife? Emily blickte an sich hinunter und erschrak. Ihr helles Kleid war voller Blutflecken, und auch der Straßenstaub hatte deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.
Giovanni führte sie in eine etwas abseits gelegene kleine Bar, in der sich zu dieser Stunde nur wenige Gäste befanden. „Du hast einen Brandy nötig“, stellte er fest. „Anschließend gehen wir zu mir und versuchen, dein Kleid wieder einigermaßen sauber zu kriegen – und meine Hose.“ Seine helle Jeans war an den Knien fast schwarz.
Erleichtert ließ sich Emily auf den Stuhl sinken, den Giovanni ihr hinschob, und nahm die Sonnenbrille ab. Jetzt erst merkte sie, dass ihr Sonnenhut fehlte, bestimmt war er ihr an der Unfallstelle vom Kopf gerutscht.
Nachdem Giovanni bestellt hatte, lehnte er sich zurück und musterte Emily eingehend. Wie atemberaubend attraktiv sie trotz ihres aufgelösten Zustands aussah! Ihr Kleid war schmutzig und zerknittert, das Haar zerzaust, die Wangen gerötet und nicht ganz sauber. Das alles ließ sie in seinen Augen noch verführerischer erscheinen. Ab und zu lief ein Zittern durch ihren Körper, als würden die traumatischen Erinnerungen sie weiterhin verfolgen.
Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen, ihren Kopf an seine Brust gebettet, sie getröstet und ihr versprochen, stets für sie zu sorgen. Das wäre allerdings ein schwerer taktischer Fehler gewesen, denn Emily schien Distanz zu wollen und nicht Nähe. Was hatte sie nur dazu getrieben, ihm ihre Romreise zu verschweigen? Er runzelte die Stirn. Wieso zog ihn diese Frau so unwiderstehlich an? Sie verheimlichte ihm etwas und versuchte, ihn zu meiden. Warum? Was hatte er falsch gemacht? Emilys Verhalten war ihm ein Rätsel.
Nachdem der Ober die beiden doppelten Brandys gebracht und sich wieder zurückgezogen hatte, griff Emily sofort zum Glas. „Das tut gut“, erklärte sie und seufzte erleichtert, nachdem sie einen kräftigen Schluck getrunken hatte.
„Nicht so hastig, Emily, lass es langsam angehen. Du stehst noch unter Schock, und wenn du alles auf einmal hinunterkippst, muss ich dich nach Hause tragen“, scherzte er.
Das stimmte natürlich. Im Zeitlupentempo stellte sie ihr Glas zurück. Beruhigt stellte sie fest, dass ihre Hände dabei nicht mehr unkontrolliert zitterten.
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