Julia Extra Band 0326
natürlich, ich erinnere mich.“ Emily dachte an diese unverhoffte Begegnung und fragte sich zum wiederholten Mal, wieso Giovanni seinen Onkel nicht mochte.
Am Donnerstag stand Emily bereits um halb sechs vor ihrer Wohnung. Ihr Boss hatte sie aus Anerkennung für ihren unermüdlichen Arbeitseinsatz früher in den Feierabend geschickt.
Diese geschenkten Stunden wollte Emily bewusst genießen. Sie hatte sich vorgenommen, in aller Ruhe zu duschen, es sich anschließend mit ihrem Buch auf der Couch bequem zu machen und sich als Krönung des Abends etwas Leckeres zu kochen. Da Coral und Nico stets unterwegs waren, würde sie die Wohnung ganz für sich allein haben, Nicos ungebetener Besuch hatte also doch auch seine Vorteile.
Welche Illusion! Das Wohnzimmer war nicht leer, sondern Nico erhob sich vom Sofa und schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln.
„Coral muss heute länger arbeiten, so bis gegen acht, dann gehen wir in einer neu eröffneten Pizzeria essen“, erklärte er. „Stört es dich, wenn ich mich solange hier aufhalte?“
„Oh … nein. Nein, nicht im Geringsten“, log sie und bemühte sich um ein freundliches Lächeln. Was für eine Enttäuschung! Für fast drei Stunden würde sie sich das Wohnzimmer mit Nico teilen müssen! Hätte er sich nicht irgendwo anders in der Stadt amüsieren und auf Coral warten können?
Sie unterdrückte ihren Ärger, denn ihre Kritik war ungerecht. Wahrscheinlich war Nico schon den ganzen Tag in London auf Besichtigungstour gewesen und war froh, seine müden Beine etwas ausruhen zu dürfen. Eigentlich war sein Besuch gar nicht so schlimm wie befürchtet. Man merkte Nico kaum, und normalerweise sah sie ihn nur kurz. Wenn er mit Coral spätabends im Wohnzimmer erschien, wechselte sie einige Worte mit ihm, bevor sie Gute Nacht sagte und sich zurückzog.
„Ich mach uns gleich eine Tasse Tee oder Kaffee – ganz wie du möchtest“, verkündete sie und verschwand in ihrem Zimmer.
„ Grazie …“ Versonnen blickte Nico ihr hinterher.
Mit geschlossenen Augen lehnte Emily sich gegen ihre fest verschlossene Tür. Aus der Traum von einem langen, gemütlichen Feierabend! Statt sich eine ausgiebige Körperpflege zu gönnen, würde sie sich jetzt lediglich schnell waschen, umziehen und anschließend die höfliche Gastgeberin spielen. Small Talk mit Corals Schönling stand auf dem Programm, und ihr Buch würde geschlossen bleiben müssen.
Wenn schon einen Latin Lover auf der Couch, dann lieber einen anderen … Sie griff zur Seife und lächelte still vor sich hin. Die Erinnerungen an das Essen mit Giovanni am vergangenen Freitag ließen sie nicht mehr los. Wie er sie angesehen und welche Sehnsüchte er damit in ihr erweckt hatte …
Energisch schminkte sie sich ab. Wie naiv war sie eigentlich? Giovanni war um keinen Deut besser als Nico, ein Leichtfuß von einem Italiener, der sich aufgrund seines blendenden Äußeren einbildete, alle Frauen seien verrückt nach ihm. An Loyalität und Treue verschwendeten diese Typen keinen Gedanken. Doch genau das waren die Werte, an die sie glaubte und die ihre Eltern ihr in ihrer Ehe vorgelebt hatten.
Emily schlüpfte in ihre Jeans, holte sich eine frische Bluse aus dem Schrank und bürstete ihr Haar, bis es glänzte. Dann ging sie durchs Wohnzimmer in die Küche. „Tee oder Kaffee, wofür hast du dich entschieden?“, fragte sie Nico im Vorbeigehen.
Er stand auf und folgte ihr. „Ich nehme das, was du nimmst, Emily“, antwortete er mit seltsam rauer Stimme, und ihr wurde es plötzlich unbehaglich zumute. Nico kam ihr viel zu nah, und sie musste ihn beiseitewinken, um an den Oberschrank zu kommen. Kaum hatte sie den Arm nach der Teedose ausgestreckt, spürte sie Nicos Hände in der Taille. Sofort drehte sie sich um und stieß ihn von sich. Wütend sah sie ihn an.
Nico schien das nicht weiter zu beeindrucken. Er senkte lediglich etwas die Lider und betrachtete bewundernd Emilys blitzende Augen und rosige Wangen. „Engländerinnen sind so … so bezaubernd … so cool“, bemerkte er in seinem gebrochenen Englisch, senkte den Kopf und küsste sie mitten auf den Mund.
„Nico!“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Was bildest du dir eigentlich ein?“ Sie boxte ihn kräftig vor die Brust, was ihn jedoch nicht sonderlich zu beeindrucken schien.
„Emily!“ Sein Atem streifte heiß ihre Wange. „Sei nett … du bist so schön … ich muss dich haben …“
„Hör auf! Ich kenne die italienischen Gebräuche nicht, aber hier kannst
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