Julia Extra Band 0326
englischen Statistiken an und denke einen Moment nach, Emily! Gerade in eurem Land ist die Scheidungsrate extrem hoch. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“
Emily senkte den Kopf. Giovanni hatte recht, ihre Vorwürfe entbehrten jeder rationalen Grundlage. „Entschuldigung“, meinte sie leise, scheute sich aber, mit Giovanni über ihren inneren Zwiespalt zu sprechen.
Ihrer Einschätzung nach besaßen gerade die Italiener eine gewinnende Art, der eine Frau nur schwer widerstehen konnte. Bei aller Sinnlichkeit waren sie fürsorglich und liebevoll, und eine Frau, der sie ihre Gunst schenkten, fühlte sich geliebt und beschützt. Auf der anderen Seite hielt Emily sie für unbeständig und polygam, weil sie sich ihrer Erfahrung nach nicht mit einer einzigen Frau zufriedengaben. Giovanni war das beste Beispiel dafür. Mochte er noch so attraktiv, geistreich und aufmerksam sein, sie würde sich bestimmt nicht in ihn verlieben.
Nachdem sie den letzten Schluck getrunken hatten, bezahlte Giovanni und stand auf. „Komm, lass uns zu mir gehen, damit du dich endlich frisch machen kannst. Ich rufe uns ein Taxi.“
Obwohl Emily eigentlich lieber sofort in ihr Hotel zurückgekehrt wäre, nickte sie trotzdem. Sie hatte geglaubt, den Schock überwunden und sich wieder unter Kontrolle zu haben, doch beim Aufstehen hatte sie mit Schrecken feststellen müssen, wie unsicher sie immer noch auf den Beinen war.
Giovanni nahm ihren Arm. „Außerdem habe ich eine Besucherin, der ich dich gern vorstellen möchte.“
Ungläubig sah sie ihn an, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie verstand. Es musste sich um die Frau auf dem Foto handeln! Nicht mehr lange, und sie würde die südländische Schönheit persönlich kennenlernen – für Giovanni Boselli schien es eine Selbstverständlichkeit zu sein, sich mit mehreren Favoritinnen gleichzeitig zu umgeben.
Emily nickte, lächelte höflich und ließ sich zum Taxistand führen. Erleichtert atmete sie auf, als sie nach einer halsbrecherischen Fahrt durch das unglaubliche Verkehrsgewühl Roms endlich das kühle Foyer der Wohnanlage betraten.
Giovanni stieß seine Wohnungstür auf, die nur angelehnt war. „Sie ist also bereits wieder da, wie sie mir versprochen hatte“, meinte er zufrieden. „In einer Stunde müssen wir nämlich schon wieder los.“
„Kaffee ist fertig!“, vernahm Emily eine weibliche Stimme aus der Küche, als Giovanni die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte.
„Perfekt, das ist genau das, was wir jetzt brauchen.“ Er lächelte Emily zu.
In diesem Moment trat die Frau mit einem Tablett in den Händen aus der Küche. An ihrer Kleidung erkannte Emily sofort, dass es sich um die Frau von vorhin handelte, das Gesicht war jedoch eine Überraschung. Emily schluckte.
„Emily, darf ich dir meine Mutter vorstellen?“, sagte Giovanni und legte ihr den Arm um die Schultern. „Mama, dies ist Emily, von der ich dir schon so viel erzählt habe.“
8. KAPITEL
Emily gab sich Mühe, keinen überraschten Eindruck zu machen. Die Frau, mit der sie Giovanni vor dem Straßencafé beobachtet hatte, war also seine Mutter gewesen! Sie musste ungefähr sechzig sein, war immer noch schön und wirkte bei aller Fraulichkeit ausgesprochen jugendlich.
Sie trug einen cremefarbenen Leinenrock, Ballerinas und ein limonengrünes Seidentop. Ihr dunkles, fast schwarzes Haar war perfekt frisiert und ließ die Ohren frei, an denen große Goldkreolen funkelten. Ihre Augen, die im Moment groß vor Staunen waren, glichen denen Giovannis.
„Was habt ihr denn angestellt?“ Sie sprach Englisch mit deutlich hörbar italienischem Akzent. „Giovanni?“ Sie drehte sich zu ihm um, und er erklärte ihr kurz, was vorgefallen war.
„ Mamma mia , wie schrecklich!“ Schnell setzte sie das Tablett ab und reichte Emily zur Begrüßung die Hand. „Ich bin Maria und freue mich, Sie kennenzulernen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits.“ Lächelnd erwiderte Emily den Händedruck und blickte dann an sich hinunter. „Ich möchte mich für mein Aussehen entschuldigen. Dürfte ich vielleicht kurz das Badezimmer benutzen? So möchte ich nicht zurück ins Hotel fahren.“
„Zuallererst gibt es einen Kaffee, geht bitte ins Wohnzimmer und setzt euch.“ Giovanni reichte den Frauen die dampfenden Becher. „Ich mache mir auch einen und komme gleich nach.“
Gehorsam setzte sich Emily auf das hell bezogene Sofa am Fenster – dorthin, wo sie damals mit ihrem verstauchten Knöchel
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