Julia Extra Band 0327
gedenke auch nicht, einer zu werden – mit oder ohne Gedächtnis. Ich fühle mich im Augenblick vielleicht etwas hilflos, aber das bedeutet nicht, dass ich meinen Verstand oder meinen eigenen Willen verloren habe!“
Mit verschränkten Armen saß sie ihm gegenüber, und es dauerte eine Ewigkeit, bis Javier endlich antwortete. „Tut mir leid, Emelia“, begann er mit unnatürlich tiefer Stimme. „Vergib mir! Ich vergesse ständig, was du gerade alles durchmachen musst, und es fällt mir schwer, mich in deine Lage zu versetzen. Aber dies ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, sich wie ein altes Ehepaar anzukeifen.“
Emelia überlegte kurz und verzog dann die Lippen. „Mir tut es auch leid. Vermutlich bin ich gerade nicht ich selbst.“
„Ganz bestimmt ist das so“, bestätigte er und versuchte sich an einem aufmunternden Grinsen.
Den Rest des Fluges döste Emelia vor sich hin. Später, als ein Chauffeur sie zur Villa brachte, und Javier ein paar Worte mit dem Fahrer auf Spanisch wechselte, stellte sie überrascht fest, dass sie alles verstand. Hatte sie auch dies in den letzten zwei Jahren gelernt?
Etwas irritiert schnappte sie auf, wie der Chauffeur an Javier die Frage stellte, ob sie sich an irgendetwas erinnern könne. Ihr Ehemann verneinte mit einem Seufzer, und Emelia beschlich das Gefühl, dass ihr niemand zutraute, den Wortwechsel verfolgen zu können. Merkwürdig …
Während der gesamten Fahrt sah Emelia interessiert aus dem Fenster in der Hoffnung, die Umgebung könnte ihr helfen, Erinnerungsstücke zusammenzufügen. Die Zwickmühle, sich um jeden Preis erinnern zu wollen, aber sich selbst nicht unter Druck setzen zu dürfen, machte sie wahnsinnig.
Endlich kam die Villa in Sicht, und schon die mit hohen Bäumen gesäumte und von unvorstellbar großen Gartenanlagen umgebene Auffahrt war einfach atemberaubend. Das Gebäude selbst war vierstöckig, wunderschön und einem schwerreichen Unternehmer mehr als angemessen: abgelegen, imposant, luxuriös und klassisch stilvoll.
Selbst aus dem fahrenden Auto heraus erkannte Emelia mehrere Gärtner, die sich um die Außenanlagen kümmerten und der Limousine von Weitem freudig zuwinkten. Und auf dem gepflasterten Vorplatz wurden sie bereits von einer älteren Dame – bekleidet mit einer gestärkten schwarz-weißen Uniform – erwartet.
„ Bienvenido a casa, señor. “ Die Frau wandte sich zur Seite und bedachte Emelia mit einem herablassenden Blick. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich. „ Señora. Bienvenido a casa. “
„Danke sehr“, erwiderte Emelia höflich. „Schön, wieder … zu Hause zu sein.“
„ Querida .“ Javier schob sie sachte vorwärts. „Dies ist Aldana. Sie hält den ganzen Haushalt für uns zusammen. Und – keine Sorge – ich habe bereits dem gesamten Personal mitgeteilt, dass du dich vorerst an keinen Einzigen von ihnen erinnern kannst.“
„Mir tut das so leid“, sagte sie zu Aldana. „Ich hoffe, Sie fühlen sich dadurch nicht beleidigt.“
Die Haushälterin verschränkte die Arme vor ihrem ausladenden Busen, und ihre Augen wirkten plötzlich wie die eines Raubvogels. „Das macht gar nichts.“
„Ich werde Emelia mal nach oben bringen, Aldana“, schaltete Javier sich ein und wechselte dann ins Spanische. „Haben Sie alles erledigt, was ich telefonisch angeordnet hatte?“
Aldana nickte. „ Sí, señor. Alles ist wieder an seinem Platz.“
Noch immer tat Emelia so, als würde sie die fremden Menschen um sich herum nicht verstehen – ihr Misstrauen war geweckt. Trotzdem stand für sie jetzt nur eine Frage im Vordergrund: Würde sie sich mit Javier ein Zimmer teilen? Ein Bad? Ein Bett?
3. KAPITEL
„Lass dich von Aldanas herber Art nicht abschrecken“, riet Javier seiner Ehefrau auf dem Weg ins Obergeschoss. „Das hat nichts zu bedeuten. In ein, zwei Tagen ist ihre harte Schale geknackt. Sie verhielt sich genauso, als ich dich zum ersten Mal mit hierher gebracht habe. Ihrer Meinung nach war es der größte Fehler meines Lebens, innerhalb weniger Wochen eine praktisch fremde Frau zu heiraten, die obendrein nicht einmal aus Spanien stammt.“
Wie reizend, dachte Emelia trocken. Sie hatte die offensive Abneigung in den Augen der anderen Frau sehr wohl bemerkt.
Wie bin ich die letzten zwei Jahre lang bloß mit dieser Feindseligkeit umgegangen? überlegte Emelia weiter. Das klang nicht gerade nach einer glücklichen Lebenssituation.
„Geht es dir gut?“ Javier hatte sich mitten auf der Treppe zu
Weitere Kostenlose Bücher