Julia Extra Band 0328
fischte sie eine bequeme Jogginghose und ein weißes T-Shirt aus ihrer Tasche. Kaum hatte sie die Kleidung gewechselt, geriet der Flieger in eine kleine Turbulenz, und ihre Brille fiel vom Waschbeckenrand zu Boden. Hastig bückte Victoria sich danach und stellte mit Bestürzung fest, dass die Gläser zwar heil geblieben waren, aber einer der Bügel lose herabhing.
Was sollte sie jetzt tun? Ohne ihre Brille fühlte sie sich nackt.
Eine erneute Turbulenz trieb sie aus Unruhe um Nathan zu ihrem Sitz zurück. Doch als sie mit ihrer beschädigten Brille in der Hand dort ankam, schlief ihr kleiner Sohn immer noch tief und fest, während Antonio sich schon wieder in den nächsten Geschäftsbericht vertieft hatte.
„Ich habe zunächst ein Dinner für zwei bestellt“, informierte er sie, ohne aufzuschauen. „Cannelloni, gefolgt von einem Filet Wellington. Ich hoffe, du bist keine Vegetarierin?“
„Nein, das hört sich gut an, aber …“, Victoria zögerte und fasste sich ein Herz, „… mir ist eben meine Brille runtergefallen, und der Bügel ist beschädigt. Könntest du versuchen, sie zu reparieren? Wenn ich besser sehen könnte, würde ich es selbst tun.“
Antonio schaute auf und war verblüfft. Ohne die schwere Hornbrille auf der zierlichen Nase wirkte sie so … so ganz anders. Erst jetzt fiel ihm auf, wie perfekt das Oval ihres Gesichts war, mit den hohen Wangenknochen und den feingezeichneten Brauen über den meergrünen Augen mit den langen dunklen Wimpern.
Sie wirkte viel jünger und irgendwie verletzlicher.
„Kannst du das?“
Stumm nahm Antonio die lädierte Brille entgegen und untersuchte sie. Es war nur eine kleine Sache, doch sekundenlang zögerte er, den Schaden zu beheben. Denn damit ermöglichte er es Victoria nur, ihr reizendes Antlitz wieder hinter dem dunklen Monstrum zu verstecken.
„Erledigt …“, murmelte er kurz darauf und schalt sich einen Narren.
„Danke.“ Mit der Brille auf der Nase änderten sich auch Victorias Gesichtsausdruck und ihre gesamte Haltung.
Die Stewardess erschien mit dem bestellten Essen und einer Flasche Weißwein. „Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen, Sir?“, fragte sie freundlich, während sie eine weiße Leinendecke, Kristallgläser und einen Kühlbehälter hervorzauberte.
„Nein danke, Sally, das wäre alles“, erwiderte Antonio und packte Papiere und Laptop weg.
„Dann wünsche ich guten Appetit.“ Mit einem strahlenden Lächeln und einem höflichen Nicken in Victorias Richtung zog sich die junge Stewardess zurück.
„Wein?“, fragte Antonio.
„Ja, bitte, aber nur ein kleines Glas.“
Das Licht in der Kabine war gedämpft, die Jalousien vor den Fenstern herabgezogen, und die ganze Situation wirkte seltsam intim. Wie bereits seit Tagen konnte Victoria das Gefühl nicht abschütteln, dass sie träumte.
„Das Essen ist bestimmt nicht so gut wie in deinem Restaurant, aber unter Garantie besser als alles, was du bisher über den Wolken serviert bekommen hast“, scherzte Antonio. „Also, lang zu.“
Victoria gehorchte und war angenehm überrascht. „Ich halte sonst nicht viel von Fertiggerichten, muss aber zugeben, die Pasta ist nicht schlecht. Vielleicht eine Spur versalzen.“
„Tatsächlich?“ Antonio schmunzelte und probierte, während Victoria vor Scham über ihre spontane Äußerung am liebsten in den Boden versunken wäre.
„Tut mir leid. Ist nur meine persönliche Meinung. Ich befürchte, ein guter Koch ist automatisch auch ein strenger Kritiker.“
„Und du bist eine gute Köchin?“
„Ja“, erwiderte sie selbstbewusst, was ihn amüsierte und ihm gleichzeitig gefiel.
„Was die Cannelloni betrifft, gebe ich dir absolut recht“, bekannte Antonio. „Dabei gilt die italienische Küche als die beste der Welt. Aber ich bin als Italiener ja nicht objektiv, und wenn wir in meiner Heimat sind, wirst du hoffentlich dein sachkundiges Urteil dazu abgeben?“
Victoria errötete und widmete sich lieber ihrem Essen, als darauf zu antworten.
„Wie lange betreibst du dein Restaurant schon?“, wollte Antonio etwas später wissen.
„Fast drei Jahre.“
„Dann warst du schwanger, als du es eröffnet hast?“
Sie nickte.
„Und allein?“
Erneutes Nicken.
„Das muss ziemlich anstrengend gewesen sein, unter diesen Umständen ein eigenes Geschäft aufzubauen.“
In Victorias smaragdgrünen Augen blitzte es kurz auf. „In meinem Leben war bisher gar nichts einfach“, entfuhr es ihr gegen ihren Willen.
Er konnte die
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