Julia Extra Band 0330
das Bild bediente, das er sich von ihr gemacht hatte, frustrierte ihn zutiefst. Niemals hätte er geglaubt, Sympathie für sie empfinden zu können, aber nun ließ es sich nicht länger verleugnen.
Sein Vater hatte Libby offenbar ignoriert, nachdem er von der Schwangerschaft erfahren hatte. Demnach musste sie davon ausgehen, dass er sie im Stich lassen würde, so wie es ihr eigener Vater mit ihrer Mutter gemacht hatte.
Aus der Zeitung hatte sie schließlich von Pietros Tod erfahren und selbst daraufhin keinerlei Anstrengungen unternommen, Unterhalt für ihr Kind einzuklagen oder überhaupt nur Rauls Familie zu kontaktieren. Stattdessen war sie spurlos verschwunden, und Raul musste monatelang nach ihr suchen, um sie über den Inhalt des Testaments in Kenntnis zu setzen.
Während des gesamten Dinners und vor allem während der endlos langen, zähen Reden begriff Raul, wie falsch er Libby eingeschätzt hatte. Diese Tatsache machte es noch schwerer, ihre reizvolle Nähe zu ertragen, ihr Parfüm einzuatmen, ihre leuchtenden Augen zu sehen und vor allem ihren traumhaft aufregenden Körper ganz nah neben sich zu wissen.
Sein Begehren machte sich durch den dünnen Stoff der Anzughose unangenehm bemerkbar. Ständig suchte Raul nach einer geeigneten Sitzposition, um seine Erregung, so gut es ging, zu verbergen.
Libby war erleichtert, als die Veranstaltung sich endlich ihrem Ende zuneigte. Ihre Konzentration hatte mittlerweile stark nachgelassen, was vor allem an Rauls unmittelbarer Präsenz lag. Er strahlte ein Charisma aus, dem sie sich nur schwer entziehen konnte. Außerdem war er ein geistreicher, höchst angenehmer Gesprächspartner, und sie merkte selbst, wie sie mehr und mehr seinem Charme verfiel.
„Was geschieht jetzt?“, wollte sie wissen, als sie sich von ihrem Tisch erhoben.
„Jetzt stürzt jeder Gast hilfesuchend an die Bar, um sich für die endlosen, trockenen Reden zu belohnen“, erklärte Raul lachend, und Libbys Herz begann zu rasen. „Darf ich dir noch einen Champagner bringen? Oder möchtest du lieber tanzen?“
Gemeinsam gingen sie hinüber in den Ballsaal.
„Ich sollte nicht riskieren, noch mehr Alkohol zu trinken“, gab sie freimütig zu und richtete sich auf, als Rauls Arm sich besitzergreifend um ihre Taille schob.
„Eine weise Entscheidung“, wisperte er in ihr Ohr und führte sie zur Tanzfläche. Dort drehte er sie einmal um die eigene Achse, bevor er sie in seine Arme schloss. „Und nun entspann dich und lass dich führen!“
Während sie in Rauls Armen über den Boden schwebte, verlor Libby jedes Zeitgefühl. Es gab ihn, und es gab sie – und natürlich diese unsichtbare Macht, die sich allmählich zwischen ihnen aufbaute und ihrer beider Willen zu verschlingen drohte.
Eine gefühlte Ewigkeit später wurde ihr bewusst, dass Raul sie zur Tür dirigiert hatte.
„Es ist schon nach Mitternacht, und wir fahren gute vierzig Minuten zurück zur Villa“, sagte er freundlich. „Du willst bestimmt morgen früh ausgeruht dort sein, wenn Gino wach wird, anstatt die Nacht in meinem Apartment zu verbringen?“
„Auf jeden Fall“, bestätigte Libby halbherzig, wie sie beschämt feststellte. Wie konnte sich das Verhältnis zu Raul in den wenigen Stunden nur so drastisch verbessert haben?
Auf dem Heimweg sprachen sie wenig miteinander. Raul schien in seine Gedanken versunken zu sein, und auch Libby hielt die Augen geschlossen und träumte vor sich hin.
Als sie hörte, wie der Lamborghini in die kiesbedeckte Auffahrt der Villa einbog, richtete sie sich wieder auf und bewunderte das kunstvoll illuminierte Grundstück und die Villa.
„Es ist so wunderschön hier“, seufzte sie überwältigt.
Sobald der Wagen hielt, stieg sie aus und nahm den Weg hinunter zum See. Libby wollte unbedingt ihre neue Heimat erkunden, und sie freute sich insgeheim darüber, dass Raul ihr folgte. Seufzend legte sie den Kopf in den Nacken und bewunderte den glitzernden Sternenhimmel.
„Ich liebe das Bild, wie der Mond sein silbernes Licht auf das schwarze Wasser wirft“, schwärmte sie. „Man möchte sich gleich die Kleider vom Leib reißen und in die Fluten stürzen.“
Raul fand ihre aufrichtige Begeisterung extrem ansteckend. Er lächelte. „Tu dir keinen Zwang an! Aber du könntest einen Kälteschock erleiden, wenn du jetzt ins Wasser springst.“
„Ich meine das doch nicht wörtlich“, wehrte sie lachend ab, verstummte aber sofort, als Raul ganz nahe auf sie zukam und mit einer Hand ihr Kinn
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