Julia Extra Band 0331
Jenny wahrnahm, waren Rodrigos Arme, die sie sicher umfingen, dann wurde alles dunkel.
Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er endlich ihr Schlafzimmer fand.
Als er durch einen Türspalt einen von ihren Pullovern über einem Stuhl hängen sah, stieß er die Tür mit dem Fuß auf und trug Jenny quer durch den Raum zu ihrem Bett. Vorsichtig beugte er sich nach vorn, um die Bettdecke aufzuschlagen, dann streckte er sie vorsichtig auf den frisch duftenden Laken aus. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus, als er das rasselnde Geräusch hörte, das ihren flachen, unregelmäßigen Atem begleitete.
So behutsam wie möglich befreite Rodrigo sie von ihrem Morgenmantel und zog die Decke bis zu ihren Schultern hoch. Dann setzte er sich zu ihr auf die Bettkante, um erneut die Hand auf ihre Stirn zu legen. Verdammt, sie musste mindestens 39 Grad Fieber haben! Ein beklommenes Gefühl breitete sich in ihm aus. Er musste dringend etwas unternehmen, um ihre Temperatur herunterzubringen, aber zuerst musste er einen Arzt benachrichtigen.
Er flüsterte Jenny einige beruhigende Worte ins Ohr, bevor er nach unten raste. Neben dem Telefon, das auf einer Kommode in der Halle stand, entdeckte er ein ledergebundenes Adressbuch. Hastig durchblätterte er es mit einer Hand, während er mit der anderen den Telefonhörer aufnahm. Endlich fand er die Nummer von Lilys Hausarzt.
Rodrigo unterdrückte einen Fluch, als die Stimme des Anrufbeantworters ihn an den ärztlichen Notdienst verwies. Er notierte sich die Nummer, und Sekunden später hatte er eine männliche Stimme in der Leitung, die ihm bestätigte, dass er mit dem diensthabenden Notarzt sprach.
Rodrigo erklärte ihm dem Grund seines Anrufs und verlor beinah die Fassung, als der Mann ihm mitteilte, dass es in einer „verfluchten Nacht wie dieser“ unmöglich sei, nach Raven Cottage herauszukommen. Er müsse, so meinte er, bereits einige Patienten in der lokalen Nachbarschaft besuchen, und sofern es sich nicht um einen Fall von Leben und Tod handle, würde Mr Martinez sich, so leid es ihm tue, selbst um Ms Renfrew kümmern müssen. Er gab Rodrigo einige Ratschläge, um das Fieber zu senken und bat ihn, unbedingt wieder anzurufen, falls die Temperatur innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nicht gesunken sein sollte.
Nachdem er jahrelang nur mit den Fingern schnippen musste, um zu bekommen, was er wollte, war Rodrigo über die Reaktion des Arztes milde ausgedrückt empört. Nur mit äußerster Selbstbeherrschung konnte er sich davon abhalten, ihm eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung anzudrohen. Das hilft Jenny jetzt auch nicht weiter, sagte er sich und notierte stattdessen mit zusammengebissenen Zähnen die Anweisungen des Arztes.
Wieder zurück in ihrem Schlafzimmer, legte er ihr zum dritten Mal die Hand auf die Stirn, die ihm noch heißer vorkam als vorhin. Ihre Wangen waren vom Fieber gerötet, ihr ganzer Körper bebte vor Schüttelfrost. Kalte Angst kroch in Rodrigo hoch. Dann kam ihm plötzlich ein spanisches Schlaflied in den Sinn.
„Duerme, niña chiquita, duerme mi alma … “ , begann er leise zu singen. „… duérmete lucerito de la mañana …“
Sanft strich er ihr einige Locken aus der feuchten Stirn und gönnte sich für einen Moment den Luxus, sie ausgiebig zu betrachten. In dem unschuldigen weißen Batistnachthemd sah sie aus wie eine schlafende Prinzessin, die darauf wartet, von ihrem Prinzen wach geküsst zu werden.
Kopfschüttelnd schnitt Rodrigo eine Grimasse und stand auf, um ins angrenzende Bad hinüberzugehen. Zuerst das Schlaflied, das er nicht mehr gehört hatte, seit seine Großmutter es ihm vorgesungen hatte, und nun dieser kitschige Vergleich mit der schlafenden Prinzessin. Seit er über die Schwelle von Raven Cottage getreten war, schien er unter einem merkwürdigen Zauber zu stehen.
Rodrigo hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, aber was immer auch der Grund für seine befremdlichen Reaktionen war: Dies war definitiv nicht der passende Zeitpunkt, um sie zu ergründen.
Er füllte eine altmodische Porzellanschüssel mit lauwarmem Wasser, nahm einen Waschlappen aus dem Handtuchregal und kehrte zu seiner Patientin zurück. Nachdem er den Waschlappen ins Wasser getaucht und sorgsam ausgedrückt hatte, presste er ihn mit sanftem Druck auf Jennys Stirn und dann nacheinander auf beide Seiten ihres Halses. „Es wird dir bald wieder besser gehen, mein Liebling, das verspreche ich dir“, murmelte er dabei.
Woher er das Vertrauen in
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