Julia Extra Band 0332
Hochzeitstag sei, doch obwohl sie ihr Eheversprechen bereits abgegeben hatte, war ihr immer noch übel. Vielleicht weil sie seit gestern nichts mehr gegessen hatte? Oder lag es an dem viel zu eng geschnürten Mieder, das ihre Brüste fast herausquellen ließ?
Mit ihrem langen weißen Kleid und der funkelnden Diamantentiara über einem langen Spitzenschleier hätte sie sich vor dem Traualtar wie das perfekte Aschenputtel fühlen müssen. Stattdessen quälte sie das Gefühl, in diesem Schloss fehl am Platz zu sein. Und wenn es um die Gefühle ihrer Kinder ging, war ihre Mutter aufmerksam wie ein Bluthund. Sie konnte förmlich sehen, wie Veras Stirn sich in Falten legte. Gleich würde sie ihr Fragen stellen, die Rose nicht beantworten konnte – nicht einmal sich selbst.
Zitternd stellte Rose ihre Kristallflöte auf dem Tablett des Serviermädchens ab, das gerade vorbeiging. „Ich will draußen ein bisschen frische Luft schnappen.“
„Wir kommen mit.“
„Nein, bitte. Ich brauche nur eine Minute. Allein …“
Damit wandte sie sich ab und floh aus dem Ballsaal. Sie hastete die leeren Schlossflure entlang hinaus in die dunkle Winternacht. Draußen lehnte sie sich schwer gegen die mittelalterliche Tür. Sie kratzte über den Stein, ehe sie sich mit einem tiefen, satten Laut schloss, der in dem weißen, gespenstischen Garten widerhallte.
Rose atmete die eisige Februarluft ein, die ihr in die Lungen schnitt.
Sie war jetzt verheiratet.
Und sie hatte geglaubt, dass sie sich … anders fühlen würde.
Mit ihren neunundzwanzig Jahren war sie von ihren Freunden und Geschwistern schon lange bemitleidet worden, die, außer ihrem jüngsten Bruder, schon alle verheiratet waren. Immer wieder hatten sie ihr vorgehalten, sie sei zu wählerisch. „Worauf wartest du denn, Rose? Auf den Märchenprinzen?“ Allein in ihrem kleinen Apartment, hatte Rose dann geweint, jedoch an ihrem Grundsatz festgehalten. Sie wollte auf die große Liebe warten, selbst wenn es ewig dauern würde.
Und dann war Lars in das Restaurant in San Francisco spaziert, in dem sie morgens arbeitete. Er hatte sich an die Bar gesetzt und Frühstück bestellt.
San Francisco war eine weltoffene, bunte Stadt, in der sich sehr viel mehr Menschen tummelten als in der kleinen Küstenstadt im Süden, wo Rose aufgewachsen war. Doch selbst in einer Stadt wie San Francisco fiel ein Mann wie Lars auf. Ein steinreicher, attraktiver Aristokrat, der in Oxford studiert hatte und über ein altes Schloss in Schweden verfügte. Vom ersten Moment ihres Kennenlernens hatte er Rose nicht mehr aus den Augen gelassen.
Schon vorher waren ihr die Männer hinterhergelaufen, aber sie war nie interessiert gewesen. Doch Lars mit seinem umwerfenden Charme, mit dem er ihr Komplimente machte, hatte sie begeistert. Eine Woche später schlug er ihr vor zu heiraten. „Lass uns durchbrennen, noch heute“, bat er. „Ich kann es gar nicht abwarten, dich zur Frau zu haben.“ Nachdem sie zugestimmt hatte, fand er sich mürrisch mit einer weiteren Woche ab, genug Zeit, damit ihre Familie anreisen konnte. Denn als sie ihn um eine kleine Hochzeit in ihrer Heimatstadt bat, hatte er stattdessen Flüge für ihre gesamte Familie – Großmutter, Eltern und ihre fünf Geschwister samt Familien – ins nördliche Schweden arrangiert.
Die Hochzeit war traumhaft gewesen. Und heute Nacht würden sie zum ersten Mal miteinander schlafen.
Hatte Rose deshalb so ein mulmiges Gefühl, als würde sie ins Bodenlose stürzen? Vielleicht fühlte sie sich krank, weil sie so nervös war? Verbissen redete sie sich ein, dass es nichts gab, vor dem sie sich ängstigen musste. Absolut nichts.
Und trotzdem überlief sie eine eiskalte Gänsehaut, als sie an ihr Versprechen dachte, das sie von jetzt an für immer an Lars band. An diesem Tag hatte sie den Mann ihrer Träume geheiratet. Warum hatte sie trotzdem das Gefühl, fliehen zu müssen? Was stimmte nicht mit ihr?
Sie stieß sich von der schweren Schlosstür ab, überquerte die Brücke, die sich über den zugefrorenen Burggraben spannte, und betrat den stillen Garten. Ihre weißen Tüllröcke, die hinter ihr her schleiften, wirbelten kleine pudrige Wolken aus Schnee auf, der im Mondlicht wie Diamanten glitzerte.
Es war eine klare Nacht. Als sie hochsah, verschlug es ihr fast den Atem, als blassgrüne Lichter plötzlich über den Himmel zogen. Das Nordlicht. Noch nie hatte sie so etwas Wunderschönes, Fremdartiges gesehen. Der Zauber nahm ihre Seele gefangen,
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