Julia Extra Band 0342
waren nur Zentimeter voneinander entfernt.
Der Wunsch, sie zu küssen, war unbezwingbar. Wären die Dinge anders zwischen ihnen gewesen, wären sie beide aus anderem Holz geschnitzt, hätte er keine Sekunde gezögert. Aber weil er sie einerseits beschützen und andererseits sein Leben weiterleben wollte wie bisher, vergrub er die Hände in seinen Taschen und wippte auf den Fersen. „Und – was sagst du nun?“
„Die Fahrt mit der Gondel hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Es war überhaupt ein wunderschöner Abend. Es hat mir sehr gut gefallen“, schloss sie.
Der Kuss. Die Nähe.
„Mir auch“, gestand er aufrichtig.
„Aber …“
Unwillkürlich wappnete er sich für das, was nun kommen würde. Mit einem Aber hatte er nicht gerechnet.
„Wenn ich jetzt schon so viel Spaß gehabt habe, kann man dann beim nächsten Mal noch mehr erwarten? Fürs erste Mal war das nämlich eine ganze Menge.“
Seltsamerweise musste er ihr recht geben. „Das klingt plausibel.“
Fast zu plausibel.
Sie biss sich auf die Lippen. „Vielleicht sollten wir uns bis zum nächsten Treffen ein wenig Zeit lassen.“
Tristan empfand eine merkwürdige Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung über ihren Vorschlag. Mit dem Kuss hatte sich ihr Verhältnis komplett geändert. Es gefiel ihm nicht, aber er wusste auch nicht, wie er das alles hätte rückgängig machen können. Tatsache war, dass auch er ein wenig Distanz brauchte. „Das wird überhaupt kein Problem sein“, erwiderte er.
„Warum?“, fragte sie.
Er dachte an die Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, auf die er noch nicht reagiert hatte, da er die Stadt so schnell nicht verlassen wollte. Oder besser gesagt: Er wollte Jayne nicht verlassen. „Ich habe einen neuen Auftrag.“
Das Leuchten in ihren Augen erstarb, und Falten bildeten sich auf ihrer Stirn. Tristan bedauerte Jaynes abrupten Stimmungswechsel. Eben noch war sie fröhlich gewesen – und gleich darauf tiefernst.
„Wo musst du denn hin?“, fragte sie.
„Nach Mittelamerika.“
Zwei Wochen später saß Jayne auf einer Bank auf dem Hundetrainingsplatz, wohin sie Duke, den Vierbeiner ihrer Nachbarin, ausgeführt hatte, und wartete darauf, dass Molly ans Telefon zurückkam. Wehmütig betrachtete sie das Tier, das übermütig mit anderen Hunden herumtollte, und wünschte sich, genauso unbeschwert sein zu können. Seit Tristan abgereist war, fühlte sie sich ein bisschen … deprimiert.
Sie hatte sich zwar nicht in ihrem Haus verkrochen, wie es ihre Mutter getan hatte, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, und wie Jayne selbst es nach dem Ende der Verlobung mit Rich getan hatte. Diesmal war sie ausgegangen und hatte sogar neue Leute kennengelernt. Aber sie konnte Tristan und den Kuss einfach nicht vergessen – ein Kuss, der ihr den Atem geraubt hatte und der dafür verantwortlich war, dass sie immer wieder über ihr Leben und vor allem ihre Zukunft nachdenken musste.
Die Fahrt mit der Gondel hatte ihr ganz neue Perspektiven eröffnet – Möglichkeiten, an die sie zuvor niemals gedacht hatte. Sie hatte das Gefühl, ihre ganze Welt sei auf den Kopf gestellt worden, und sie hatte keine Ahnung, wie sie sie wieder ins Lot bringen konnte.
Jayne war sich nicht einmal sicher, ob sie das überhaupt wollte.
„Ich bin wieder da“, verkündete Molly.
Jayne hielt sich das Handy ans Ohr.
„Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen.“ Mollys Stimme klang so laut und klar, als wäre sie nur am anderen Ende der Stadt und nicht in einem anderen Bundesstaat. „Linc hatte eine Frage zu dem neuen Haus und brauchte umgehend meine Meinung.“
„Wann sehen wir uns denn noch mal?“
„Bald, hoffe ich. Ich kann es kaum erwarten. Aber du wirst mich wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen. Ich bin unheimlich fett geworden. Die Leute müssen glauben, ich bekomme Zwillinge.“
Molly klang, als würde sie lächeln, und das machte Jayne glücklich. „Ich habe dein Bild auf Facebook gesehen. Du siehst wunderschön aus.“
„Danke.“ Molly lachte schallend. „Doch seitdem Linc das Foto gemacht hat, bin ich noch dicker geworden. Du müsstest mal meinen Bauch sehen! Ach, ich vermisse dich so sehr, Jayne. Wir alle vermissen dich.“
Es war praktisch eine Einladung. Jayne schluckte hart.
„Ich vermisse euch auch.“ Sie sah den Hunden nach, die einem Vogel hinterherjagten. „Ich komme euch bald besuchen.“
„Bevor das Baby kommt?“
Der hoffnungsfrohe Tonfall in Mollys Stimme ließ es Jayne ganz
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