Julia Extra Band 0349
sie mitleidig.
„Ich war daran gewöhnt, für mich selbst zu sorgen. Einige der Liebhaber meiner Mutter hielten nichts von Kindern, deshalb musste sie dann wählen. Und ich kam zu Pflegeeltern. Da ich groß und kräftig für mein Alter war, wurde ich meist gern genommen.“
Libby tat das Herz weh beim Gedanken an den kleinen, ungeliebten und vernachlässigten Jungen.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie du …“, begann sie schockiert.
„Das ist auch gut so“, unterbrach er sie.
Damit war das Thema für ihn eindeutig beendet. Sie schnitt ein neues, für sie ebenso wichtiges an. „Wenn ich die Besitzurkunde annehme, heißt das dann, dass ich nicht länger Praktikantin bei dir bin, Rafael?“
„Meinst du denn, du musst noch mehr wissen?“
„Und ob!“, erwiderte sie nachdrücklich. „Ich habe doch gerade mal die Grundkenntnisse.“
„Dann schlage ich vor, du bleibst so lange, bis du alles gelernt hast, was du deiner Meinung nach brauchst.“
Ob er damit Aktiengeschäfte oder Aktionen im Bett meinte, wusste sie nicht zu sagen. Sie freute sich nur, dass ihre Zeit mit Rafael noch nicht zu Ende war.
Viertel vor neun ging Rafael von einer sehr frühen Besprechung in der Bank zu Fuß zu seinem Firmensitz. Kurz bevor er ihn erreichte, entdeckte er einige Hundert Meter vor sich Libby, leicht zu erkennen an ihren leuchtend roten Locken.
Sie ging in einen Coffeeshop, vermutlich um sich vor der Arbeit zu stärken.
Vor dem Fenster verharrte Rafael und beobachtete sie, wie sie sich in der Schlange vor dem Tresen anstellte. Als er gerade überlegte, ob er sich ihr anschließen sollte, sprach ein attraktiver junger Mann sie an, der hinter ihr stand.
Den wird sie kurz abfertigen, dachte Rafael erwartungsvoll, sah sich aber getäuscht. Sie lächelte strahlend und begann, angeregt mit dem Fremden zu plaudern.
Rafael fluchte lautlos, aber heftig. Am liebsten wäre er in den Shop gestürmt, hätte den jungen Mann am Kragen gepackt und von Libby weggeschleift.
Bei der Vorstellung lächelte er unwillkürlich. Vor allem konnte er sich gut ausmalen, wie Libby auf eine solche Aktion reagieren würde. Die war genauso verräterisch, als wenn er eine Annonce in die Zeitung gesetzt und aller Welt verkündet hätte, dass Libby Marchant ihm gehörte.
Nein, das tat sie nicht. Er und sie waren in gegenseitigem Einvernehmen und unter bestimmten Bedingungen zusammen. Treue zählte nicht dazu.
Aber wieso dachte er überhaupt daran? Er tat ja gerade so, als würde Libby den jungen Mann küssen, dabei unterhielt sie sich nur nebenbei mit ihm, während sie auf ihr Frühstück wartete!
Was ist nur los mit mir? fragte Rafael sich beunruhigt.
Für ihn war doch ein Traum wahr geworden. Er genoss den besten Sex seines bisherigen Lebens mit einer der schönsten Frauen, die ihm je begegnet waren. Nein, der schönsten von allen, korrigierte er sich.
Und sie brachte ihn zum Lachen.
Und es gab keinerlei Schwierigkeiten mehr mit ihr.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass genau die ihm fehlten. Er brauchte Herausforderungen, auch im privaten Bereich.
Das war eine erschütternde Erkenntnis.
13. KAPITEL
Bis zum Mittag hatte Rafael sie nicht getroffen, aber er wusste, wo er Libby finden konnte. Bei schönem Wetter aß sie ihre Sandwichs gern im nicht weit vom Firmengebäude entfernten Park. Bevor Rafael es sich anders überlegen konnte, machte er sich auf den Weg.
Im Park entdeckte er Libby auch gleich, leider war sie umringt von ihrer Familie. Jedenfalls erkannte Rafael ihren Vater, der mit hochrotem Kopf vor ihr stand. Der jüngere Mann war wohl ihr Bruder, die Frau ihre Mutter.
Rafael schlug einen Bogen und näherte sich ungesehen, bis er in Hörweite war.
„Du streitest also gar nicht ab“, hörte er Mrs Marchant sagen, „dass du mit Rafael Alejandro schläfst. Dass du seine Geliebte bist! Als Rachel mir erzählte, sie hätte dich und ihn zusammen in sein Apartment gehen sehen, bin ich aus allen Wolken gefallen.“
„Ich streite es nicht ab“, erwiderte Libby tapfer. „Aber, bitte, Mum, wein nicht!“
„Soll sie vielleicht in Jubel ausbrechen?“, mischte ihr Bruder sich ein. „Nach allem, was er uns angetan hat? Vor allem auch Meg!“
„Das war nicht Rafaels Schuld“, verteidigte Libby ihren Boss.
„Ach, es war also meine, ja? Weil ich sie nach Buckford mitgeschleppt und überanstrengt habe? Und wer ist dafür verantwortlich, dass ich die Fahrt machen musste?“
Sie legte ihrem Bruder besänftigend die Hand auf den
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