Julia Extra Band 0349
kleines bisschen enttäuscht war sie vielleicht. Sie wusste, wie die Narben aussahen, was sie bedeuteten und warum sie sie fast wie ein Ehrenzeichen trug. Niemals würde das peinliche Starren eines Mannes zunichtemachen, was sie ihr bedeuteten.
„Und wie weit entfernt von hier ist die Gedenkstätte für die Emden?“
Honor hatte fast vergessen, was Rob überhaupt zur Insel geführt hatte. „Hm … sie ist dort drüben. Ein paar Hundert Meter, glaube ich.“
„Sie waren noch gar nicht da?“, fragte er entsetzt.
Honor interessierte sich nicht besonders für Geschichte und hatte der Gedenktafel in den vier Jahren keine große Beachtung geschenkt. „Doch. Sie ist in der Nähe der Schildkrötennester.“
„Bringen Sie mich hin?“, fragte er eifrig.
Seine Aufregung war ansteckend. Wie lange war es her, dass sie sich für irgendetwas begeistert hatte? Vier Jahre? Länger? Honor nickte und robbte rückwärts von den Vögeln weg, in den Schutz der Bäume. Rob machte es ihr nach.
Fünf Minuten später erreichten sie den Strand auf der anderen Seite der Insel, wo die Lagune flacher und stahlblau war. Honor wandte sich nach links und zeigte auf ein verwittertes Stück Holz. Fast ehrfürchtig ging Rob auf die Gedenkstätte zu. Sie war schlicht, nur zwei senkrechte Pfosten und eine Querlatte, in die „SMS EMDEN“ eingeritzt war. Am Sockel der Gedenktafel lagen die grün verfärbten Überreste eines Metallstücks vom Schiff.
Rob hockte sich hin und fuhr mit der Hand federleicht über die zerfressene Oberfläche, als würde er sie lesen wie Blindenschrift. Schnell sah Honor weg, weil sie sich plötzlich vorstellte, wie diese langen, eleganten Finger ihren Körper so behutsam erforschten.
„Was ist hier passiert?“ Das Wesentliche wusste sie zwar, aber sie wollte ihn erzählen hören – nichts verlangsamte ihren Puls so sehr wie Militärgeschichte.
„Während des Ersten Weltkriegs reagierte die ‚Sydney‘ auf einen Notruf von Direction Island. Die Kokosgruppe war wegen ihrer Nähe zu Indonesien und Australien ein wichtiger Stützpunkt. Als die Sydney ankam, traf sie auf die Emden, die sich zu einem Angriff bereit machte. Die Emden war eine scheußliche Maschine, obwohl sie ein Leichter Kreuzer war. Sie hatte Hunderte von feindlichen Schiffen versenkt. Es gab eine kurze, brutale Schlacht, und der Kommandant der Emden fuhr sein Schiff auf das Riff, damit der Feind es nicht einnehmen konnte.“
Rob blickte dorthin, wo das Kriegsschiff vor einem Jahrhundert aufs Riff aufgelaufen sein musste.
Oh, die Korallen! dachte Honor traurig. „Was geschah mit der Besatzung?“
„Die meisten starben im Feuergefecht mit der Sydney, einige beim Auflaufen, andere gerieten in australische Gefangenschaft. Ein paar entkamen und versteckten sich auf der Insel, nur um mangels Süßwasser zu verdursten. Ihre Skelette wurden ein Jahr später gefunden, sauber abgenagt von den Krabben.“
Also daher stammte der Name. Honor zeigte den Strand entlang. „Das malaiische Wort für die Biegung dort bedeutet ‚Bootsmannsgrab‘.“
Starr sah Rob die Stelle an, wo der Strand eine Kurve machte.
„Und das Schiff?“, brach Honor schließlich das Schweigen.
„Gleich hinter dem Riff. Die Einwohner der Inselgruppe haben alles rausgeholt, was sie gebrauchen konnten, bevor die Emden auseinandergebrochen und gesunken ist. Jetzt ist sie selbst fast Riff.“ Rob wandte sich wieder Honor zu. „Letzten Endes haben sich die Korallen gerächt.“
Honor lächelte. „Das tun sie immer.“
Flüchtig fiel sein Blick auf ihren Mund, dann schaute Rob wieder aufs Meer. Dorthin, wo sie ihn früher am Tag auf seinem Boot das erste Mal gesehen hatte. War er wirklich erst einen Tag hier? Warum kam es ihr viel länger vor?
Schweigend standen sie da. Honor überließ Rob seinen Gedanken. Die untergehende Sonne warf tiefgoldenes Licht über sein gebräuntes Gesicht und hob die gerade Nase und die hohen Wangenknochen hervor. Plötzlich fühlte sich Honor versucht, das Erlebnis in die Länge zu ziehen, andererseits wollte sie keinesfalls mit diesem … Meeresgott am Strand einer tropischen Insel stehen, während die Sonne glutrot am Horizont versank.
Man sollte das Schicksal nicht herausfordern.
Im Moment ließ er zwar nicht seinen Charme spielen wie bisher heute, doch das würde wahrscheinlich nicht lange anhalten. Seinem abwesenden Blick nach hatte er sich nur auf See verloren.
Bei dem Gedanken fröstelte sie, und Honor schlang die Arme um ihren
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