Julia Extra Band 0349
dem Porträt zu lösen, ließ sich Amanda aufs Bett fallen. Das Bild ließ sie nicht los. Was für eine beeindruckende Frau! Amanda betrachtete das energische Kinn, den entschlossenen Blick und die vollen roten Lippen, neben denen bereits eine scharfe Linie zu sehen war. Die Frau wirkte, als könnte sie jeden Mann mit einem Zungenschnalzen von seinem hohen Ross herunterholen.
Es gefiel Amanda, dass sie die Landschaft im Hintergrund erkannte, obwohl die Ranch damals offenbar viel kleiner gewesen war.
Aber so viel hat sich gar nicht verändert, überlegte sie auf dem Weg zur Dusche. Die Estanzia Caracas war inzwischen zwar riesig und Nero ein sehr reicher Mann, doch er war ein Kämpfer, genau wie die Frau auf dem Porträt. Er sprach niemals über seine Eltern oder seine Kindheit. Würde sie jemals erfahren, wie er aufgewachsen war?
Sie stellte das Wasser an und genoss das erfrischende Nass. Es war höchst unwahrscheinlich, dass Nero sich ihr jemals anvertrauen würde, und sie konnte schlecht sein Personal aushorchen.
Ein idyllischer Tag nach dem anderen verging, und Amanda fühlte sich auf der Ranch schon ganz zu Hause. Die Arbeit mit den Jugendlichen verlief besser, als sie gehofft hatte.
Ignacio war ihr ein echter Freund geworden. Er brachte sie zum Lachen und verriet ihr jeden Tag immer ein bisschen mehr über Nero. Manchmal kam es ihr fast so vor, als wollte der alte Cowboy, dass sie lernte, seinen Boss zu verstehen. Er war es auch, der ihr verriet, dass die Frau auf dem Porträt Neros Großmutter war. Nicht weiter überraschend, dachte Amanda trocken.
Nur eine Sache gefiel ihr ganz und gar nicht: Sie bekam Nero kaum noch zu Gesicht. Er kam nie zum Reitplatz, wenn sie die Kinder unterrichtete, und sie nahmen ihre Mahlzeiten zu unterschiedlichen Zeiten ein.
In der Nacht, bevor die Ponys aus England eintreffen sollten, lag Amanda noch lange wach in ihrem Bett. Auch wenn sie versuchte, die Gedanken an Nero zu verdrängen, hielt sie die Sehnsucht wach.
Als sie endlich einschlief, erwachte in ihren Träumen die Frau auf dem Porträt zum Leben. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, musterte sie Amanda mit abschätzendem Blick. Schweißgebadet wachte Amanda auf. Mit rasendem Herzen schaltete sie das Licht an und schaute sich um.
Natürlich war sie allein im Zimmer. Sie schüttelte den Kopf über ihre Ängste. Aber der Traum hatte sich so wirklich angefühlt.
Draußen war es bereits hell, und nach einem Blick auf die Nachttischuhr beschloss Amanda, dass sie genauso gut auch schon aufstehen konnte. Sie würde sowieso keinen Schlaf mehr finden.
Sie sprang aus dem Bett und zog die schweren Vorhänge zurück. Über der Straße, die zur Hazienda führte, lag eine Staubwolke. Die Wagen mit den Pferdeboxen aus England kamen gerade an. Nero lief bereits über den Hof, und Amanda musste schmunzeln. Wenn es eines gab, das ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit herausbringen konnte, dann waren es Pferde.
Ohne einen Gedanken an ihr Aussehen zu verschwenden, zog sie ihre alte Latzhose über den Schlafanzug und darüber noch einen dicken Pullover gegen die Morgenkälte. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, ihre Haare zusammenzubinden. Nach einem kurzen Zähneputzen lief sie hinunter.
Als sie die Küchentür aufriss, zuckten María und Conception erschrocken zusammen, doch Amanda rannte mit einem Gruß weiter auf den Hof. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um den ersten Wagen zu empfangen, der durch das Tor einfuhr. Amanda lief neben dem Wagen her, bis er vor den Ställen hielt.
„Überlassen Sie das Fahrern!“, wies Nero sie scharf zurecht, als sie nach dem Schloss der ersten Box griff.
Obwohl Amanda sich freute, ihn zu sehen, war sie zu ungeduldig, um noch länger zu warten. Außerdem ließ sie sich von ihm nichts vorschreiben!
„Ich sagte, lassen Sie das!“ Nero stellte sich zwischen sie und den Wagen. „Das ist Männerarbeit.“
„Männerarbeit?“, fragte Amanda gedehnt. „Ob Ihre Großmutter das auch so gesehen hätte?“
Nero erstarrte, und sie nutzte den Moment, an ihm vorbeizuhuschen. Misty war in diesem Transporter, und Amanda würde nicht zulassen, dass sich ihr jemand in den Weg stellte.
„Warum gehen Sie nicht einfach zurück ins Haus und überlassen uns diese Arbeit?“, versuchte Nero es ein wenig sanfter. Er legte seine Hand auf ihre. „Ich sage Ihnen sofort Bescheid, wenn Misty in ihrer Box ist.“
„Danke, aber ich möchte mich lieber selbst darum kümmern. Misty ist mein eigenes Pferd. Ich will
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