Julia Extra Band 0350
schon gab Marco sie frei. Sein knappes Nicken verlieh ihr genügend Mut, um an Bord des Helikopters zu gehen.
Der uniformierte Pilot begrüßte sie und zeigte ihr, wie sie sich anzuschnallen hatte. „Sie werden sehen, in Nullkommanichts sind wir am Comer See.“ Als er sich neben sie setzte und ebenfalls den Gurt anlegte, runzelte Lily überrascht die Stirn. „Der Boss übernimmt heute das Steuer“, erklärte er lässig. „Er hat den Pilotenschein.“
Eigentlich wunderte es sie nicht, dass Marco auch Hubschrauberpilot war. Sie konnte sich mühelos vorstellen, dass er in jeder Krise einen kühlen Kopf bewahrte.
Als sie das letzte Mal in einem Hubschrauber geflogen war, war sie vierzehn gewesen. Und die Erinnerung an diesen Flug hatte sie gerade beim Einsteigen zu Stein erstarren lassen. Irgendwie hatte Marco einen Weg gefunden, ihre Angst zu durchbrechen und sie in die Gegenwart zurückzuholen. Allerdings bezweifelte sie, dass es ihm gefallen würde, wenn sie ihm sagte, ihre Sinne hätten in ihm einen Beschützer und Retter erkannt. Sie konnte es ja selbst nicht verstehen, so feindselig, wie er sich ihr gegenüber verhielt. Doch das Bild, wie er dort auf dem Pilotensitz saß, hatte etwas enorm Beruhigendes. Wie war das überhaupt möglich, angesichts des Konfliktes, der zwischen ihnen bestand? Lily konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, dass etwas tief in ihr Marco als sicheren Hafen erkannte.
So lange schon sehnte sie sich nach einem solchen Menschen. Einem Menschen, der ihr zur Seite stand und sie beschützte. Doch das Leben hatte sie gelehrt, dass es eine solche Person nicht gab, dass sie selbst für ihren Schutz und ihre Sicherheit sorgen musste.
Deshalb war es jetzt auf eine geradezu grausame Art umso gefährlicher, ständig dieses Gefühl zu haben, dass Marco di Lucchesi Sicherheit und Schutz repräsentierte. Und dann war da noch dieses andere Gefühl – das Bewusstsein, dass Marco ein Mann war, der die Macht besaß, sie zu erregen.
Es war paradox, denn bisher hatte Sicherheit für Lily immer das völlige Fehlen von Sex und Erotik bedeutet. Sie hatte sich entschlossen, die eigene Sexualität zu verleugnen, um die Fehler ihrer hedonistischen Eltern zu vermeiden. Nun war sie Marco begegnet, und plötzlich, ohne dass sie es hätte verhindern können, hatte er anscheinend die Kontrolle sowohl über ihre Sicherheit als auch über ihre Sexualität übernommen. Sie hätte nicht sagen können, wie und wann das passiert war.
Nun, von ihm ging wohl keine Gefahr aus. Sie kannte ihn noch nicht lange, aber instinktiv wusste sie, dass er sich niemals erlauben würde, einem Verlangen nachzugeben, das einer Frau galt, die er nicht mochte.
Lilys Wangen begannen zu brennen, als ein jäher Stich sie durchzuckte. Sie erkannte es als pures Begehren. Nach Marco! Oh Gott, sie würde nie verstehen, wie das Schicksal so grausam zu ihr sein konnte!
Der Hubschrauber setzte zur Landung an. Bevor die Kufen den Boden berührten, hatte Lily ihre verräterischen Gefühle wieder unter Kontrolle gebracht. Diese Kontrolle schmolz jedoch dahin wie Schnee in der Sonne, als Marco sich umdrehte und sie anschaute.
Wenn die Dinge doch nur anders lägen … Wenn sie doch nur als Liebespaar hierher kämen … Wenn doch nur …
Dass solch alberne Gedanken tatsächlich durch ihren Kopf spukten, war unbegreiflich. Lily war nur dankbar, dass Marco keine Gedanken lesen konnte.
Unendlich dankbar.
4. KAPITEL
Der Flug war ohne Vorkommnisse verlaufen. Allerdings konnte Marco sich nicht erklären, warum er während der gesamten Dauer gegen das Bedürfnis hatte ankämpfen müssen, sich nach Lily Wrightington umzudrehen, um zu sehen, ob alles in Ordnung mit ihr war, obwohl er diese Frau doch derart verachtete.
Sie war keineswegs ein verletzliches Kind, auch wenn seine Fantasie ihm das aus einem unbegreiflichen Grund hatte vorgaukeln wollen. Nein, sie war eine amoralische Frau, die die Arglosigkeit anderer skrupellos ausnutzte. Dennoch achtete er beim Aussteigen aus dem Hubschrauber darauf, dass sie sicher an Land ging.
Weil es seine Pläne durcheinanderbringen würde, sollte sie aus irgendeinem Grund bei diesem Projekt ausfallen, deshalb. Das war nichts Persönliches.
Eine Limousine wartete, um sie zum Hotel zu bringen. Natürlich hatte Lily über die Villa d’Este gelesen, aber die Fotos in den Broschüren hatten die Eleganz nicht einfangen können. Kristalllüster, Marmorböden und vergoldete Ornamente verliehen dem Hotelfoyer schillernden
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