Julia Extra Band 0350
er sich still. Seine unüberlegte Bemerkung hatte verstörende Bilder in seinem Kopf hervorgerufen – Lily, nackt auf der seidenen Tagesdecke seines Bettes, ihre Haut schimmernd im warmen Lampenschein, die Brustwarzen ein zartes himbeerrot, das Dreieck über ihren Schenkeln golden. Ihre schlanken Beine, lang genug, ihn zu umschlingen …
Marco verfluchte sich … und sie. Wenn sie eine andere Frau wäre, wenn er nicht ihr wahres Gesicht kennen würde, dann wüsste er, was er in dieser Situation tun würde: sie in sein Bett holen. Er hatte noch nie Schwierigkeiten gehabt, willige Gespielinnen zu finden. Schließlich war sie nicht die erste Frau, für die er Begehren verspürte … doch noch nie war sein Verlangen so intensiv gewesen. Was war los mit ihm? Wieso konnte er den Hunger, den sie in ihm erweckte, nicht kontrollieren, ganz zu schweigen davon, ihn abstellen?
Die Erkenntnis, dass er dazu nicht in der Lage war, tat sich wie ein dunkler Abgrund vor ihm auf, und er versuchte mit verzweifelter Anstrengung, sich an Altvertrautes zu klammern, auf sicheres Gebiet zurückzuziehen. Hier wurden Fragen aufgeworfen, auf die es keine logischen Antworten gab, und Emotionen geweckt, von denen er nicht einmal geahnt hatte, dass er sie empfinden konnte. Es passte ihm nicht. Nein, es passte ihm ganz und gar nicht.
Marco war gewohnt, dass er seine Emotionen unter Kontrolle hatte. Er hielt sich an Fakten und Logik, mit unlogischen Emotionen konnte er nur schlecht umgehen. Am meisten rieb ihn auf, dass Lily sich weigerte, einem Schema treu zu bleiben. Er wusste doch, was sie war, und dennoch verhielt sie sich jetzt tatsächlich wie eine kultivierte Wissenschaftlerin.
Sollte er sich in ihr getäuscht haben? Aber das war doch nicht möglich …
Der einzige Grund, weshalb er ihr gegenüber Höflichkeit zeigte, war das Projekt. Er hatte seine Zustimmung gegeben, und an die Abmachung mit der Gesellschaft würde er sich halten. Zudem gebot ihm der Stolz, Lily weiterhin zu begleiten. Denn sonst müsste er sich ja eingestehen, dass er sich vor den Gefühlen fürchtete, die sie in ihm weckte.
Er legte die Speisekarte hin, und wie aus eigenem Willen wanderte sein Blick zu ihr hin. Das Restaurant war gut besucht, hier saßen viele schöne und erlesen angezogene Frauen, dennoch schien es Marco, als wäre Lily ihnen an Eleganz und Haltung haushoch überlegen. Aus dem Nichts schoss ihm der Gedanke in den Kopf, dass ein Mann stolz sein könnte, eine solche Frau als Ehefrau an seiner Seite zu haben – bestens ausgebildet, intelligent, schön und elegant. Doch stolz darauf, mit einer Frau verheiratet zu sein, der er nicht vertrauen konnte? Mit einer Frau, die ihr wahres Gesicht unter äußerer Schönheit versteckte?
Der Kellner wartete bereits eine Weile neben dem Tisch, um die Bestellung aufzunehmen.
„Als Vorspeise nehme ich die missoltini “, sagte Lily. Die an der Sonne getrockneten kleinen Fische waren eine Spezialität des Comer Sees. „Und danach das Risotto.“ Seit Jahrhunderten wurde in Italien Reis angebaut, Risotto war praktisch ein Nationalgericht.
„Für mich das Gleiche“, bestellte Marco. Er studierte die Weinkarte und schaute fragend zu Lily. „Was halten Sie von Valtellina? Ich weiß, es ist ein Rotwein, und wir fangen mit Fisch an, aber …“
Lily lachte leise auf. Es gefiel ihr, dass Marco fragte, anstatt zu bestimmen, welchen Wein sie trinken sollten. Ihr war auch klar, warum er ausgerechnet diese Sorte vorschlug. „Leonardo trank immer Valtellina. Wenn der Wein gut genug für ihn war, dann ist er bestimmt auch gut genug für mich“, lautete ihre Antwort.
Mit dieser Antwort hatte Marco gerechnet – deshalb hatte er gerade diesen Wein gewählt. Er gab die Bestellung an den Weinkellner weiter.
War das tatsächlich ein Lächeln auf Marcos Gesicht? fragte Lily sich still. So als amüsiere er sich über eine stille Anekdote. Er hatte ein einnehmendes Lächeln, warm und maskulin zugleich, das Grübchen auf seine Wangen brachte und eine Reihe perfekter weißer Zähne sehen ließ. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, dann jedoch breitete sich eine dumpfe Leere in ihrer Brust aus.
Weil dieses Lächeln nicht ihr galt?
Als der Wein gebracht wurde, war sie froh um die Ablenkung. Das hielt sie davon ab, genauer über ihre Reaktion auf Marco nachzudenken.
„So sieht der Plan aus: Morgen fangen wir bei der Villa Balbiannello an. Ich habe eine private Führung für Sie organisiert. Zu den meisten Häusern, die
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