Julia Extra Band 0350
läuteten plötzlich die berühmten Glocken von Big Ben. Ich spürte die Resonanz in jedem Winkel meines Körpers, und als sie wieder verstummten, sah Peter mir eine Ewigkeit lang in die Augen. Dann nahm er meine Hände und zog mich langsam zu sich heran.
Es war klar, was als Nächstes geschehen würde. Mein Herz hämmerte wie wild, während ich dachte, wie unbeschreiblich romantisch es sein würde, hoch über den Dächern von London von meinem umwerfenden Engländer geküsst zu werden.
Doch dann (unsere Lippen waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt) betrat eine lärmende Touristengruppe den Turm, und die Gelegenheit war vorbei. Wahrscheinlich kommt sie nie wieder, was beweist, wie recht Peters Vater mit seiner Theorie über die Flüchtigkeit der Zeit und ihrer Möglichkeiten hatte.
Verflixt, Patrick, ich fürchte, ich bin schon wieder ins Schwafeln geraten.
Molly
Die Nachricht „Abenteuer in London“ wurde nicht versandt. Sie wurde in den Ordner „Entwürfe“ verschoben.
Mollys Tagebuch. London, 25. Mai
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass jetzt ein Tagebuch nötig ist.
Bisher hat Patrick meine ausschweifenden Lageberichte mit bewundernswerter Nachsicht ertragen, und ich finde es ganz großartig, mich mit ihm austauschen zu können. Aber es gibt einige Dinge, die ich besser für mich behalten sollte, besonders jetzt, da ich auf dem besten Weg bin, mich Hals über Kopf in seinen Freund zu verlieben. Das wäre wohl für jeden Mann zu viel der Information.
Abgesehen davon ist er im Moment ohnehin nicht erreichbar. Wahrscheinlich lässt er es sich in einer der luxuriösen Ferienanlagen des Great Barrier Reef so richtig gut gehen und feiert bis zum Umfallen (jedenfalls hoffe ich das für ihn).
Karli wäre jetzt genau die Richtige, aber da sie zurzeit ebenfalls keine Mails empfangen kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Innerstes diesem Tagebuch anzuvertrauen.
Womit soll ich beginnen? Mit Peters fantastischem Aussehen? Seinem hinreißenden Lächeln? Seiner unbeschreiblich erotischen Stimme? Seinem göttlichen britischen Akzent, der mir jedes Mal köstliche Schauer über den Rücken jagt? Dieser Mann verkörpert alles, wovon ich je geträumt habe, und als Krönung des Ganzen ist er auch noch der netteste Mensch, den ich je kennengelernt habe.
In meinem ganzen Leben habe ich noch nichts auch nur entfernt Vergleichbares empfunden. Meine Füße scheinen kaum noch den Erdboden zu berühren, und ich fühle mich die ganze Zeit über wie berauscht. Wahrscheinlich habe ich in einem früheren Leben einmal etwas sehr Gutes getan, dass das Schicksal diese Lichtgestalt direkt vor meiner Haustür abgeliefert hat.
Natürlich mache ich mir keine Illusionen. Peter ist nur für eine Woche hier und betrachtet mich lediglich als amüsante Begleiterin für seinen Aufenthalt in London. Aber er scheint meine Gesellschaft wirklich zu genießen, und ich tue es umgekehrt ebenfalls. Also überlasse ich mich (bis auf Weiteres) dem Lauf der Dinge und versuche, das Atmen nicht zu vergessen.
Heute Nachmittag musste ich mich ganz besonders dazu ermahnen, denn als wir von einem Ausflug nach Hampstead zurückkehrten, zog Peter plötzlich ganz beiläufig zwei Eintrittskarten aus der Manteltasche.
„Mein Cousin ist Cellist im Orchester des Royal Opera House, und er gab mir die hier“, sagte er mit einem jungenhaften Lächeln. „Ich weiß zwar nicht, ob Sie etwas fürs Ballett übrighaben, aber ich hoffe, dass Sie es wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen.“
Ich gestehe, dass ich einen wenig damenhaften Freudenschrei von mir gegeben habe, als ich sah, dass es sich nicht um irgendein Ballett handelte, sondern um Romeo und Julia!!! Ich kenne diese Geschichte in- und auswendig und könnte jederzeit die komplette Balkonszene rezitieren.
Damit ist also auch mein letzter noch offener Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich wurde von einem hinreißenden Engländer zu einer gehobenen Kulturveranstaltung eingeladen. Und zwar zu einer, die noch dazu jede Menge Romantik verspricht.
Natürlich schreit die Situation nach einem neuen Outfit. Mein Wildlederrock hat mir zwar unschätzbare Dienste geleistet, aber für eine Ballettvorstellung in Covent Garden ist er beim besten Willen nicht geeignet. Und da ich bisher sehr sparsam gewesen bin und mein Kontostand bei der letzten Überprüfung überraschend hoch war, werde ich mir ein elegantes Kleid gönnen und als i-Tüpfelchen vielleicht sogar ein kleines Schmuckstück.
Ich
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