Julia Extra Band 0350
Schwäche, stapfte Marco in den Salon. Er musste unbedingt Abstand zwischen ihnen schaffen. Emotionen lagen wie ein eiserner Ring um seine Brust, Emotionen, die seinem Charakter völlig fremd waren. So hatte er noch nie gefühlt, hatte nicht einmal geahnt, dass er so fühlen konnte – einzig beherrscht von primitiven männlichen Bedürfnissen und Begierden. Er hatte immer geglaubt, dass seine Selbstbeherrschung durch nichts zu erschüttern wäre. Dass es ausgerechnet eine Frau wie Lily war – eine Frau, die er verachtete –, die solche Gefühle in ihm wachrief, machte die ganze Angelegenheit umso schlimmer.
Er starrte auf die geschlossene Schlafzimmertür. Der Marco, den er kannte, wäre jetzt in dieses Schlafzimmer gegangen und hätte Lily unmissverständlich aufgefordert, seine Suite zu verlassen, hätte sie sogar, falls nötig, selbst aus dem Bett gezogen. Doch der Marco, dem er nicht vertraute, befürchtete, dass er, wenn er ins Schlafzimmer zurückging, letztendlich mit ihr im Bett landen würde. Und das durfte unter keinen Umständen passieren.
Wie musste sie sich über ihn amüsieren! Rastlos marschierte er im Salon auf und ab, seine trüben Gedanken feuerten seinen Zorn nur noch an. Denn er wusste, dass er weder diesen Gefühlen noch Lily entkommen konnte.
Lily lag wie versteinert in dem großen Bett und starrte auf die geschlossene Tür. Welche Verachtung Marco ihr entgegengebracht hatte! Sie konnte es ihm nicht verübeln. Welcher Teufel hatte sie nur geritten, sich so zu benehmen? Sie war aufgewachsen mit der Angst, sich einem Mann komplett hinzugeben, weil sie gesehen hatte, was das mit einer Frau machen konnte. Sie war aufgewachsen in der Überzeugung, dass körperliche Begierden unweigerlich zu Erniedrigung und Zerstörung führten, wenn ein Mensch die Macht über einen anderen hatte. Sie war immer so froh darüber gewesen, dass sie immun gegen solches Verlangen war, und hatte sich in ihrer Enthaltsamkeit sicher gefühlt.
Die Erfahrung mit Anton Gillman hatte ihr eine Angst eingeflößt, die jeden Aspekt ihres Lebens beeinflusst hatte. Mit sechzehn hatte sie ihre Unschuld verloren, an einen gleichaltrigen Jungen, der ebenso unerfahren und linkisch gewesen war wie sie. Diese Erfahrung hatte ihre Ängste zwar gemildert, aber nicht verschwinden lassen. Ihr ganzes Erwachsenleben hatte sie darauf ausgerichtet, sich vor dem zu schützen, was sie hinter sich gelassen hatte – sogar ihre Berufswahl. Aber offensichtlich hatte sie sich in falscher Sicherheit gewiegt, das war ihr jetzt klar.
Denn in Marcos Bett, in seinen Armen, im Licht des Mondes hatte sie sämtliche Lektionen vergessen, die sie je gelernt hatte. Erregung und Sehnsucht nach ihm hatten sie dazu gebracht, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen.
Sie wollte sich wegschleichen und verstecken, so wie sie sich damals als Kind im Studio ihres Vaters versteckt hatte. Doch vor sich selbst konnte man nicht fliehen. Jede Faser ihres Körpers summte noch immer vor Verlangen. Beschämt gestand sie sich ein, dass nicht viel dazu fehlte, dieses Verlangen wieder lichterloh auflodern und außer Kontrolle geraten zu lassen. Eine einzige Berührung, ein flüchtiger Kuss von Marco, mehr wäre nicht nötig.
Marco! Sie war zu ihm gekommen, weil sie Schutz gesucht hatte. Jetzt wusste sie, dass er ein viel größeres Risiko für sie darstellte als Anton Gillman. Denn was würde sie tun, sollte er jetzt zurückkommen und sie in seine Arme ziehen? Nicht, dass auch nur die geringste Chance dafür bestand, das hatte er mehr als deutlich gemacht. Doch nun konnte sie auch nicht in ihre eigene Suite zurückkehren, weil sie durch den Salon gemusst hätte – in dem sich Marco aufhielt. Sie wollte sich nicht noch mehr erniedrigen.
Die leise Stimme, die ihr einreden wollte, dass es mehr als nur physische Anziehung gewesen war, versuchte sie verzweifelt zu ignorieren. Nein, das würde sie nicht glauben. Zwar konnte sie nicht leugnen, dass es sie mitgerissen hatte, aber das lag nur daran, dass sie an eine solche Intensität nicht gewöhnt war.
Sie hatte miterlebt, was ihrer Mutter widerfahren war. Hatte gesehen, was es bedeutete, wenn man einem Mann alles gab, wenn man ihn brauchte, ihn liebte … und das Interesse dieses Mannes dann erlosch. Es hatte ihre Mutter emotional und psychisch zugrunde gerichtet, bis sie sich nur noch nach dem Tod gesehnt hatte.
Sie durfte die Fehler ihrer Mutter nicht wiederholen. Sie wusste doch, dass diese Episode keinerlei Bedeutung
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