Julia Extra Band 0354
trotzdem so begehrenswert in ihrem langen rostfarbenen Gypsyrock und dem cremefarbenen Shirt.
„Schon viel besser.“ Sie gab sich einen Ruck und setzte sich betont aufrecht in ihren Sessel.
Oscar winkte ab. „Mach es dir ruhig bequem, und kümmer dich nicht um mich. Du hast eine gute Stunde Zeit zum Schlafen, ich wecke dich dann. Nach der Landung bringt uns ein Auto zum Hafen. Mein Freund Aristi wartet dort, um uns mit seinem Boot zur Insel zu bringen. Freu dich, du wirst einen der schönsten Plätze der ganzen Welt zu sehen bekommen.“
Aristi begrüßte Oscar überschwänglich an Deck, umarmte ihn und schüttelte ihm herzlich die Hand. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, Helena aus den Augenwinkeln zu mustern und ihr ein anerkennendes Lächeln zu schenken.
Kurz darauf legten sie ab. Oscar und Helena stellten sich an den Bug und ließen sich vom Fahrtwind die Gesichter kühlen, denn es war früher Nachmittag und damit die heißeste Zeit des Tages.
„Das Wetter wird die nächsten Wochen so bleiben, das hat mir Aristi gesagt“, meinte Oscar voll Vorfreude. „Schade, dass wir nur so wenig Zeit haben. Sie wird nicht reichen, um dir alle Naturschönheiten der Insel zu zeigen. Dort gibt es nur sehr wenig fruchtbares Land, das gerade für einige Plantagen mit Olivenbäumen und Wein reicht. Auf der ganzen Insel stehen nicht mehr als einige Dutzend Häuser. Das hat die Insel glücklicherweise vom üblichen Touristenrummel verschont.“
Er schob für einen Moment die Sonnenbrille zurück. „Souvenirläden und antike Tempelanlagen findest du hier nicht, doch das Licht und die raue Schönheit der Landschaft sind einfach überwältigend.“
„Und wovon leben die Menschen?“, erkundigte Helena sich.
„Sie halten Ziegen und bauen, wo es möglich ist, Wein und Oliven an. Für größere Einkäufe und Arztbesuche müssen sie aufs Festland fahren. Außerdem verfügt die Insel über einen kleinen natürlichen Hafen und gute Fischgründe. Es gibt einige kleine Bars und eine einzige richtige Taverne. Sie gehört Alekos. Bei ihm wohne ich immer.“
Helena betrachtete ihn nachdenklich. Auf dieser einsamen und abgeschiedenen Insel also verbrachte der reiche Oscar Theotokis, dem sämtliche Luxusresorts der Welt offenstanden, seine knapp bemessene Freizeit, hier schöpfte er neue Kraft für seinen anstrengenden Beruf. Sie hatte Respekt vor einem Mann wie ihm, der Freude am einfachen Leben fand und, statt in die Karibik zu fliegen, ganz in der Nähe seiner Heimatstadt blieb.
Eine Stunde später hatte Aristi sie an Land abgesetzt und steuerte wieder hinaus auf See. Aus der Entfernung winkte er und rief ihnen etwas auf Griechisch zu.
„Er wünscht uns eine schöne Zeit und viel Glück“, übersetzte Oscar und musste innerlich lächeln. Glück würde er bestimmt brauchen – und davon sehr viel. Noch war ihm nicht ganz klar, wie er es anstellen sollte, Helena zu erobern.
Oscar nahm die Reisetaschen in beide Hände, Helena setzte ihren großen Sonnenhut auf, und sie machten sich auf. Der Weg führte über steiniges, nicht befestigtes Gelände. Oscar betrachtete skeptisch Helenas Sandaletten.
„Kannst du so laufen? Wir haben einen guten Kilometer zu gehen, und der Weg wird nicht besser.“
„Das ist völlig in Ordnung“, meinte Helena und lächelte tapfer, denn sie spürte bereits die ersten Steinchen unter der Fußsohle und dachte sehnsüchtig an die bequemen Turnschuhe in ihrer Reisetasche. Doch sie biss die Zähne zusammen, denn sie wollte sich die kostbaren Tage nicht schon zu Anfang verderben lassen.
Als nach etwa zwanzig Minuten das Dorf in Sichtweite kam, war Helena erstaunt. Oscars Beschreibung nach hatte sie ärmliche Natursteinhäuser erwartet. Doch die nahezu quadratischen Häuser waren leuchtend weiß verputzt, hatten blaue Fensterläden, und an den gepflasterten Wegen standen Tontöpfe mit leuchtend roten Geranien. Alles machte einen frischen, fröhlichen Eindruck.
Fast in jedem der Gärten, in denen Rosmarin, Bougainvillea und andere Kräuter und Blumen um die Wette dufteten, waren zwei Ziegen angebunden.
„Wie schön!“, rief sie unwillkürlich aus. „Wie auf einer Postkarte!“
Oscar lächelte zufrieden.
Durch das Dorf, in dem während der Mittagsruhe kein Mensch zu sehen war, erreichten sie die Taverne. Diese unterschied sich nur durch die Größe und den umlaufenden Balkon von den anderen Häusern. Auch hier blühten überall die Geranien, und an der Hauswand stand ein Esel in der Sonne und
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