Julia Extra Band 159
lange warten, bis Jaime entscheidet, daß Jacey eine Last ist, und ihn fallen läßt."
„Mein Gott, Beth, du mußt mir von A bis Z beweisen, daß das geschehen wird, bevor ich solch einer Handlungsweise zustimmen könnte", sagte Rosita, und in ihrer Stimme lag scharfe Ablehnung.
„Du weißt, daß ich das kann", entgegnete Beth. „Wenn ich zulasse, daß die beiden sich weiterhin sehen, werde ich keine ruhige Minute mehr haben ... Ich würde Jaime beobachten und darauf warten, daß der Augenblick kommt, in dem er Jacey verlässt."
„Ich denke, daß du dich täuschst", gab Rosita zurück und fuhr die lange Auffahrt zu ihrem Haus hinauf. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Jaime so handelt." Sie stellte den Wagen ab. „Natürlich gehe ich nicht davon aus, daß ich im fehlbar bin, aber alles, was ich über deine Beziehung zu Jaime weiß, sowohl was die Vergangenheit als auch die Gegenwart angeht, läßt mich glauben, daß du dich irrst. Liebes, wie willst du einem fünfjährigen Jungen erklären, daß er seinen Vater niemals mehr sehen darf? Er liebt Jaime und spürt genau, daß dieser ihn genauso liebt. Würde das nicht das Vertrauen, das er in dich hat, vollständig zerstören?"
„Alles, was ich weiß, ist, daß ihm das vor einer fürchterlichen Enttäuschung beschützen wird. Ich werde mit den Konsequenzen leben müssen, aber für Jacey würde ich alles tun." Die Worte gingen in einem Weinkrampf unter.
„Du kannst doch nicht sicher sein", gab Rosita zu bedenken. „Und du wirst niemals wissen, ob der Schmerz, den du dem Jungen zufügst, gerechtfertigt ist."
Es war schon fast neun Uhr am nächsten Tag, als Beth durch das Telefonklingeln aus dem Schlaf gerissen wurde.
Sie stieg von der Gartenliege, warf einen überraschten Blick auf die Uhr und verließ den Wintergarten, um in das Haus hinüberzugehen. Sie hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, da sie in Gedanken immer wieder die gleichen Probleme gewälzt hatte.
„Du wirst deinen Sohn heute mal allein lassen und dich um dich selbst kümmern, du siehst ja fürchterlich aus", hatte Rosita ihr beim Frühstück ins Gewissen geredet. „Naldo und David öffnen die Galerie, da kann ich den ganzen Tag mit dem Jungen verbringen. "
Beth hatte nicht die Kraft, dagegen anzureden, doch auch die wenigen Stunden Schlaf in Rositas Wintergarten hatten nicht dafür gesorgt, daß sie neue Energie gefunden hatte.
„Ich komme ja schon", grummelte sie, als sie zum Telefon ging.
„Beth?"
Sie runzelte die Stirn, als sie eine gut bekannte Stimme hörte.
„Jaime ..."
„Wieso hast du einfach alles stehen- und liegenlassen und bist abgefahren?" In seiner Stimme lag ein Unterton, der ihre ungute Vorahnung noch steigen ließ.
„Es gab keinen Grund mehr dafür, daß ich so dicht beim Krankenhaus bleiben mußte", gab sie zurück und wunderte sich, wie normal diese Worte klangen. Warum hatte sie nicht ausgerufen, daß doch sonnenklar war, warum sie ihn verlassen hatte. „Ich danke dir, daß du mir erlaubt hast, bei dir ein paar Tage zu wohnen", fügte sie hinzu und spürte sofort, wie lächerlich das klang.
„Glaubst du nicht, daß es vernünftiger wäre, wenn wir uns aussprechen würden?"
Auf einmal verstand sie, was an seiner Stimme so seltsam war: Es lag nicht das geringste Gefühl darin. Als ob er jede Empfindung verdrängte, um nicht zu zeigen, wie zornig er war. „Hast du Jacey gesehen?"
„Natürlich." Seine Stimme war auf einmal wie verwandelt. Sie klang warm, nachsichtig und gefühlvoll.
Wie sie ihn so liebevoll über seinen Sohn sprechen hörte, verlor sie einen großen Teil der Furcht. Es war beinah so, als wollte er bestätigen, was Rosita gesagt hatte: Der eiskalte Unterton in seiner Stimme war nur an Beth gerichtet; wenn es um seinen Sohn ging, sprach er ganz anders. Niemals würde sie Jacey von der Liebe seines Vaters trennen, doch gleichzeitig ahnte sie, daß sie selbst seine Zuneigung auf immer verloren hatte.
„Ich wollte nicht mit dir über Jacey sprechen", fuhr er fort und schon klang er wieder deutlich kühler. „Es geht um das, was zwischen uns gewesen ist."
Beth zog sich die Kehle zusammen. Vor sechs Jahren hatte er sie fallengelassen, doch dieses Mal wollte sie nicht wieder die kühlen und beleidigenden Worte hören, mit denen er sein Mißfallen ausdrückte.
„Sei nicht dumm, Jaime, wir sind doch beide erwachsen", sagte sie und schluckte das gekünstelte Lachen herunter, mit dem sie diese Worte zunächst begleiten wollte.
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