Julia Extra Band 348
sie nicht. Sie suchte nach den geeigneten Worten, die es ihr erlaubten, sich einigermaßen unbeschadet aus der Affäre zu ziehen. „Es tut mir leid, aber es ist spät … ich bin müde.“
Nikolai empfand einen heftigen Stich der Enttäuschung. Doch weil er sah, dass sie es ernst meinte, schluckte er seine Frustration hinunter. Natürlich spielte sie Spielchen, wahrscheinlich, weil sie hoffte, durch ihre Verweigerung in seiner Achtung zu steigen. Er presste die Lippen zusammen. Hatte er überhaupt Zeit und Lust, die erforderliche Anzahl von Rendezvous’ zu absolvieren, ehe sie bereit sein würde, mit ihm ins Bett zu gehen? Ist sie das wirklich wert, überlegte er zynisch und musterte sie dabei eingehend.
Während er ihren Anblick – die großen grünen Augen, die vor Erregung geröteten Wangen und die rosigen, vom Küssen geschwollenen Lippen – in sich aufnahm, spürte er, wie an seiner Schläfe eine Ader zu pochen anfing. Jawohl, es lohnte sich, nicht nur wegen des Reizes des Neuen, den sie zumindest kurzfristig für ihn bedeutete, sondern auch wegen ihrer erfrischenden Art. Außerdem konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern, wann ihm eine Frau zum letzten Mal einen Korb gegeben hatte. Das konnte er auf gar keinen Fall so stehen lassen.
„Nun, das ist wirklich schade“, sagte er leise, während er eine Hand in seine Jackentasche schob. Doch bevor er eine seiner Visitenkarten herausziehen konnte, sah er, dass Zara die Autotür öffnete, offenbar in der Absicht auszusteigen. Nikolai runzelte ungläubig die Stirn. „Wo willst du denn hin?“
„Nach Hause.“
„Aber mein Fahrer fährt dich doch.“
Zara schüttelte den Kopf. „Ich habe es mir anders überlegt. Ich gehe lieber zu Fuß, danke.“
„Du hast es dir anders überlegt?“ Verblüfft starrte er sie eindringlich an. „Warum?“
Zara versuchte, ihre wild durcheinanderwirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
„Ich denke, das wissen wir beide“, sagte sie schließlich leise. „Wir kennen uns kaum, und das eben … also … das war eine echte Entgleisung.“ Sie schaute ihm in die eisblauen Augen, deren Ausdruck sie nicht zu deuten wusste. „Deshalb sollte ich mich jetzt verabschieden. Es war nett, dich kennenzulernen … Nikolai.“
Beim Aussteigen schwankte Zara einen Moment leicht auf ihren hohen Absätzen. Sie strich ihr zerknittertes Kleid zurecht, bevor sie eilig durch ein Tor den Park betrat, um zu verhindern, dass der Wagen ihr folgte.
Nikolai saß einen Moment lang reglos da und wusste nicht, ob er angesichts dieser unerwarteten Zurschaustellung von Unabhängigkeit, Entschlossenheit und … ja, auch Prüderie Bewunderung oder Frustration empfinden sollte. Zara hatte sich verweigert. Sie ist einfach gegangen. Nikolais Herzschlag beschleunigte sich, und das Blut schoss ihm in die Lenden. Sein Jagdinstinkt verlangte, befriedigt zu werden. Er zog sein Handy aus seiner Jackentasche und rief einen seiner Assistenten an.
Auf Russisch übermittelte er schnell die wenigen ihm bekannten Fakten.
„Sie heißt Zara Evans.“ Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen, während er mit den Fingern der anderen Hand ungeduldig auf seinem Oberschenkel herumtrommelte. „Nein, keine Ahnung, wo sie wohnt. Genau gesagt, weiß ich gar nichts von ihr.“ Außer, dass er sie so sehr wollte wie schon lange keine Frau mehr. „Sehen Sie zu, dass Sie Miss Evans möglichst schnell finden.“
3. KAPITEL
Zara griff nach dem Tablett und setzte ihr professionellstes Lächeln auf, als sie sich zusammen mit ihren Kolleginnen von Gourmet International bereit machte, die große Küche der Villa zu verlassen. Sie senkte den Blick, um sich davon zu überzeugen, dass auch wirklich jedes Körnchen Kaviar am rechten Platz lag und Papierservietten vorhanden waren.
Die anderen Kellnerinnen unterhielten sich angeregt, während sie über einen langen, mit kostbaren Gemälden geschmückten Flur in den hinteren Teil des Hauses und von dort in den Garten gingen. Nur Zara war nicht in Plauderlaune, obwohl Cocktailpartys in Privathaushalten eigentlich zu ihren bevorzugten Einsätzen gehörten. Sie wurden zumeist gut bezahlt, es gab so viel zu tun, dass keine Langeweile aufkommen konnte, und die Örtlichkeiten waren in aller Regel sehr angenehm. Wie auch heute. Die traumhafte Villa lag so abgeschirmt in herrlichster Umgebung, dass der Gedanke, man befände sich mitten in der Londoner Innenstadt, fast absurd
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