Julia Extra Band 348
beantworten? Liegt es nun in Taormina oder nicht?“
„Mehr oder weniger. Hier nimmt man es mit den Abgrenzungen nicht so genau wie in Rom oder New York.“
„Hätten wir nicht vorher beim Rathaus vorbeifahren sollen? Oder wo immer sie hier das Grundbuch aufbewahren.“
„Stimmt, dort bewahren sie die Grundbuchurkunden auf. Manche davon gehen bis ins vorige Jahrtausend zurück.“
„Nun, dann …“
„Mein Anwalt hat deinem Vater die Kopien schon vor Wochen geschickt. Hast du sie dir nicht angesehen?“
„Natürlich“, log sie, ohne eine Miene zu verziehen. „Aber nichts, was ich gelesen habe, hat ausgereicht, um meine Meinung zu ändern. Ich wollte sagen, es wäre vielleicht hilfreich, die Unterlagen dabei zu haben.“
„Ich habe auch Fotos schicken lassen. Hat dein Vater sie dir gegeben?“
Fotos? Sie hatte keine Fotos gesehen. „Was denn für Fotos?“
Draco nahm die Hand vom Schaltknüppel und hielt sie vor Anna in die Höhe. „Was siehst du?“
Eine extrem männliche Hand, gebräunt, mit langen starken Fingern. Prompt musste Anna daran denken, wie diese Finger sie gestreichelt hatten. Hastig wandte sie den Blick ab. „Eine Hand. Soll ich dich jetzt beglückwünschen, dass es kein Tentakel ist?“
Er lachte. „Sieh genauer hin.“
„Hör zu, Valenti, du magst das vielleicht lustig finden, aber …“
Er legte die Hand auf ihren Schenkel. Sie schluckte, als die Hitze seiner Haut sich durch den Jeansstoff brannte.
„Siehst du den Ring an meinem Finger?“
Ja, natürlich. Ein goldener Ring, offensichtlich sehr alt, mit einem … „Ist das ein Wappen?“ Sie sah Draco an. „Den Ring hast du bis jetzt nicht getragen.“
Er zog die Hand zurück, um den Gang herunterzuschalten, als sie um eine Haarnadelkurve fuhren. Anna war sicher, sie würden in die See stürzen.
„Ich trage ihn auch nie“, erwiderte Draco, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. „Ich trage generell keinen Schmuck. Außerdem ist dieser Ring unersetzlich. Es gibt keinen zweiten davon, seit über tausend Jahren nicht.“
Sie blinzelte. „Tausend Jahre?“
„Sì.“
„Und das Wappen?“
„Ist das Wappen der Valentis. Das gleiche Wappen prangt in Marmor gehauen über dem Eingang des Palasts in Rom, den mein Vater völlig heruntergewirtschaftet und verkommen lassen hat.“
„Ich verstehe nicht. Was hat das mit …“
Er trat hart auf die Bremse. „Da. Siehst du?“
Als Annas Blick seinem ausgestreckten Arm folgte, stockte ihr der Atem.
Vor ihr lag ein Schloss. Oder besser gesagt, eine Schlossruine. Ein Turm, uralte dicke Mauern, eine breite Außentreppe.
Sie stiegen aus. Draco bot Anna die Hand, und nach kurzem Zögern ergriff sie sie. Seite an Seite gingen sie auf das Gemäuer zu.
„Sieh dir die Mauer an. Was erkennst du da in dem Stein bei der Treppe?“
Sie schnappte leise nach Luft. „Das Wappen!“
Er nickte. „Sozusagen die Grundbuchurkunde und deutlicher als alle Dokumente. Obwohl es die ebenfalls gibt.“
Über ihnen schwebte ein Falke am strahlend blauen Himmel und stieß einen Schrei aus.
„Das hier war einmal ein prächtiges Schloss. Einer meiner Vorfahren hat es erbaut. Anders als mein Vater und sein Vater muss er ein Mann gewesen sein, den die Menschen respektierten. Er beschützte seine Untertanen gegen Feinde und kümmerte sich um ihr Wohlergehen. Doch alle guten Dinge gehen irgendwann zu Ende.“
Draco holte tief Luft. „Die Räuber fielen vom Meer her ein. Schloss und Land waren verloren. Wie es dann weiterging? Wer kann das schon genau sagen? Vielleicht schlug der nächste Valenti-Prinz neue Wurzeln in Rom und vergaß darüber, dass dieser Ort existierte. Vielleicht wollte er aber auch vergessen. Bis vor einem Jahr wusste ich nichts von diesem Ort und der Verbindung der Valentis zu Sizilien.“
„Wie hast du es herausgefunden?“
„Ich war geschäftlich in Palermo. Nach zwei Verhandlungstagen hatte ich das Gefühl, für ein paar Stunden abschalten zu müssen. Ich habe einen Wagen gemietet und mir die Gegend angesehen.“
„Und du bist hier gelandet.“
Er nickte. „Es war reiner Zufall. Ich bog um die Kurve, erblickte die Ruine … Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber irgendwie schien mir alles vertraut. Ich stieg aus dem Wagen und ging zu der Treppe.“
Mit den Fingerspitzen zeichnete Anna das in Stein gehauene Wappen nach, dann legte sie die Hand auf Dracos Arm. Sie konnte fühlen, wie angespannt seine Muskeln waren. „Nein, es klingt überhaupt nicht
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