Julia Extra Band 348
„Ich lasse mich nicht kontrollieren.“
„Dann hättest du einen anderen Beruf wählen sollen“, gab er kalt zurück.
Schützend schlang sie die Arme um den Oberkörper. Raj hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die oberen Knöpfe seines Hemds geöffnet. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt, sodass seine nackten Unterarme zu sehen waren.
Der Anblick ließ sie erschauern.
„Du erkältest dich noch.“ Er nahm ihren Arm und führte sie zum Bett. „Ich hätte dich für vernünftiger gehalten.“
„Mir geht es gut“, protestierte sie.
„Warum zitterst du dann?“, fragte er.
Ihre Antwort hätte ihm nur verraten, welche Gefühle er in ihr weckte.
Eigentlich war sie noch böse auf ihn, aber da war diese gewisse Spannung zwischen ihnen, die ihren Körper in Erregung versetzte. Als er ihr vor der Tür des Hotels gesagt hatte, dass er hungrig sei, hätten ihre Knie fast nachgegeben. Am liebsten hätte sie seine Hand genommen und ihn direkt in ihr Schlafzimmer geführt.
Aber sie war zu verwirrt gewesen. Wollte sie ihn, weil sie sich ihm im Wagen so nah gefühlt hatte? Weil sie ihm von dem Baby erzählt und er ihre Hand gehalten und sie getröstet hatte?
Vorhin hatte sie die Gelegenheit verstreichen lassen, aber jetzt war die Versuchung wieder groß.
Warum nur wollte sie diesen Mann, obwohl sie ein Jahr lang kein Interesse an Männern gehabt hatte?
Er war eindeutig die falsche Wahl.
Er war schön, stark, stolz und gefährlich. Und zu wild, als dass man ihn jemals hätte zähmen können. Aber die Zeiten, in denen sie einen Mann für eine Nacht gesucht hatte, waren endgültig vorbei.
Dennoch klopfte ihr Herz in seiner Nähe wie wild.
Er schlug die Bettdecke zurück.
„Leg dich hin.“ Sie gehorchte. Allerdings nur, weil sie nun tatsächlich zitterte.
„Und lass das Fenster bitte geschlossen.“
„Verstanden“, sagte sie.
Er wandte sich zum Gehen. „Raj?“
„Ja?“
„Bleibst du noch ein bisschen und unterhältst dich mit mir?“
Nach kurzem Zögern setzte er sich auf den äußersten Rand der Bettkante.
Sie hatte ihn nur darum gebeten, weil sie mit einem Mal Angst gehabt hatte, allein zu sein. Sie konnte sich zwar nicht an ihren Traum erinnern, aber es war kein guter gewesen.
Schon früher hatte sie nicht allein sein können und die Nacht zum Tag gemacht. Sie hatte die Partys nachgeholt, die ihr als Jugendliche verwehrt gewesen waren. Sie hatte zwar dieses Leben hinter sich gelassen, aber das Gefühl der Einsamkeit lastete manchmal noch schwer auf ihr.
Sie löschte das Licht. In der Dunkelheit spürte sie seine Anwesenheit noch stärker. Wie am gestrigen Abend spendete sie ihr Trost. Nach all den Sorgen der letzten Tage war sie dankbar, dass er bei ihr war.
Vergeblich wartete sie darauf, dass er etwas sagte. Sie seufzte. „Du bist nicht gerade gesprächig.“
„Du auch nicht.“ Sie spürte, dass er sich bewegte, seinen Kopf neben sie legte und die Beine ausstreckte.
„Wo bist du aufgewachsen?“
„Erzähl mir lieber etwas von dir, das dürfte interessanter sein“, murmelte er.
„Das glaube ich nicht“, entgegnete sie. „Warum sprichst du mit amerikanischem Akzent?“
Er atmete hörbar aus. „Meine Mutter war Amerikanerin.“
„Das klingt interessant. Bist du in Indien aufgewachsen?“
„Nein.“
„Ist es ein Geheimnis?“, bohrte sie weiter.
„Nein. Es ist nur nicht so wichtig.“
„Ich bin in Aliz aufgewachsen“, sagte sie, um das Gespräch am Laufen zu halten. „Bis zu meinem achtzehnten Geburtstag war ich nie von Zuhause weg. Dann bin ich durch die Welt gezogen und erst zur Beerdigung meines Vaters vor zwei Jahren zurückgekehrt.“
„Mein Beileid.“
„Danke. Wir standen uns nicht besonders nah, aber wir … haben uns bemüht.“
Sie hatte sich bemüht, ihren Frieden mit ihrem Vater zu machen. In den Monaten vor seinem Tod hatten sie wieder häufiger miteinander telefoniert. Manchmal konnte sie kaum glauben, dass er für immer fort sein sollte. Auch wenn sie mittlerweile nachvollziehen konnte, warum er sie so überfürsorglich beschützt hatte, fiel es ihr schwer, ihm ganz zu verzeihen.
Sie drehte sich auf die Seite und betrachtete sein Profil in dem fahlen Licht, das der Wecker ausstrahlte. „Wahrscheinlich fragst du dich, warum die Menschen in Aliz mich zur Präsidentin gewählt haben, obwohl ich dort seit Jahren nicht mehr gelebt habe.“
Die Antwort kam zögerlich. „Ich frage mich, warum du dich zur Wahl gestellt hast, nicht warum du gewählt
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